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An Philipp Christoph Kayser
Sie haben mir meinen langen Brief, dergleichen, wie ich wohl sagen darf, seit Jahren nicht geschrieben durch Ihre Antwort reichlich vergolten und bewegen mich abermals ausführlich zu seyn. Ihre Bemerckungen zeugen von Ihrem Nachdencken über die Sache, von Ihrer Kunstgewissenhafftigkeit und gutem Geschmack. Hier, was ich zu erwiedern habe.
Den ersten Ackt, dächt ich liesen wir nun wie und wo er ist, bis Sie mit dem ganzen Stücke durchsind, es selbst als ein Ganzes übersehen, hernah wollen wir weiter drüber reden und Sie werden ohne viel reden das beste thun.
Ganz recht sagen Sie von meinem Stücke daß es gewissermasen komponirt sey, man kann in eben dem Sinne sagen daß es auch gespielt sey. Wenn Sie bey dem Gleichnisse bleiben wollen: Die Zeichnung ist bestimmt, aber das ganze helldunckel, in so fern es nicht auch schon in der Zeichnung liegt, die Farbengebung bleibt dem Componisten. Es ist wahr er kan in die Breite nicht ausweichen aber die Höhe bleibt ihm bis in den dritten Himmel, wie hoch haben Sie Sich über den Gemeinplatz der Melodien und Melancholien, des Wasserfalls und der Nachtigall erhoben. Ich habe das Stück in Absicht auf Sie gemacht Sie verstehn mich und übertreffen meine Erwartungen,[163] mein nächstes ist wieder für Sie, wenn Sie's wollen, wir werden uns schon besser verstehn, und sonst habe ich mit niemand für's erste zu schaffen.
Die andre Bemerckung ist leider eben so richtig daß das Stück für ein musikalisch Drama zu angezogen, zu angestrengt ist. Zu viel Arbeit für drey Personen.
Dazu kann ich nun nichts sagen, als daß ich keins wieder machen werde (ob ich gleich ein allerliebstes Süjet zu 3 Personen noch habe, das fast noch reicher und toller als dieses ist).
Jede Erfindung hat etwas willkührliches. Mein höchster Begriff vom Drama ist rastlose Handlung, ich dachte mir das Süjet, fing an und sah zu spät daß es zum musikalischen Drama zu überdrängt war, ich sann auf Mittel und lies es über ein halb Jahr liegen. Endlich endigt ich's, und so ists nun.
Es ist ein Bravourstück, haben wir keine Ackteurs dafür; so mögen sie sich daran und dazu bilden.
Es ist wahr der Sänger will phisisch mehr Ruhe haben, zu laufen, zu springen zu gestikuliren, sich zu balgen und zu singen, so etwas geht wohl in einem Final, aber durchaus fühl ich wohl ists zu toll. Das nächste ist in allem Sinne sedater.
Ihre Erinnerungen wegen des Rhytmus kamen zur rechten Zeit. Ich will Ihnen auch darüber meine Geschichte erzählen.
Ich kenne die Gesetze wohl und Sie werden sie[164] meist bey gefälligen Arien, bey Duetts wo die Personen übereinstimmen oder wenig von einander in Gesinnungen und Handlungen abweichen, beobachtet finden. Ich weis auch daß die Italiäner niemals vom eingeleiteten fliesenden Rhytmus abweichen und daß vielleicht eben darum ihre Melodien so schöne Bewegungen haben. Allein ich bin als Dichter die ewigen Jamben, Trochäen und Dacktylen mit ihren wenigen Maasen und Verschränckungen so müde geworden, daß ich mit Willen und Vorsatz davon abgewichen bin. Vorzüglich hat mich Gluckens Composition dazu verleitet. Wenn ich unter seine Melodien statt eines französchen Textes einen deutschen unterlegte, so müßte ich den Rhytmus brechen den der Franzose glaubte sehr fliesend gemacht zu haben, Gluck aber hatte wegen der Zweifelhaftigkeit der französchen Quantität würcklich Längen und Kürzen nach Belieben verlegt und vorsäzlich ein andres Sylbenmas eingeleitet als das war dem er nach dem Schlender hätte folgen sollen. Ferner waren mir seine Compositionen der Klopstockischen Gedichte die er in einen musikalischen Rytmus gezaubert hatte merckwürdig. Ich fing also an den fliesenden Gang der Arie wo Leiden schafft eintrat zu unterbrechen, oder vielmehr ich dachte ihn zu heben, zu verstärcken, welches auch gewiss geschieht, wenn ich nur zu lesen zu deklamiren brauche. Eben so in Duetten wo die Gesinnungen abweichen, wo Streit ist, wo nur vorübergehende [165] Handlungen sind den Paralellismus zu vernachlässigen, oder vielmehr ihn mit Fleis zu zerstören, und wie es geht wenn man einmal auf einem Weege oder Abweege ist man hält nicht immer Maas.
Noch mehr hat mich auf meinem Gange bestärckt daß der Musickus selbst dadurch auf Schönheiten geleitet wird, wie der Bach die lieblichste Krümme durch einen entgegenstehender Fels gewinnt. Und haben Sie nicht selbst Recitativstellen auf eine unerwartet glückliche Weise in Rytmischen Gang gebracht.
Doch es ist genug daß Sie es erinnern daß es Ihnen hinderlich ist und ich will mich wenigstens in acht nehmen und ob ich gleich nicht ganz davon lassen kann, so will ich Ihnen in solchen Fällen eine doppelte Lesart zuschicken und wenn ich es ia versäumen sollte auf Ihre Erinnerung ieder Zeit nachbringen.
Überhaupt wollen wir an der nächsten nicht eher zu komponiren anfangen, biß wir über das Stück einige Briefe gewechselt, beym ersten wars gut zu thun und nicht zu reden.
Wie wünscht ich Ihnen überhaupt den Plan der neuen Oper vorlegen zu können, im Model kann man noch rucken und drucken, wenn der Stein zugehauen ist nicht Hand und Fus mehr wenden. Eigensinnig bin ich gar nicht, das wissen Sie, ehe zu leichtsinnig in diesen Dingen.
Lassen Sie mich noch einiges sagen was hierher einschlägt. Meistermäßig haben Sie das Duett: aus[166] dem Becher behandelt und auf das glücklichste den Parallelismus der Worte genutzt, und es ist mir schon auf das Duett: Nimm o nimm zum Voraus wohl, wo Sie gewiss das Ihrige gethan haben.
Meine Idee dabey war daß der Ackt auslaufen sollte und indem beyde Scapinen auf dem Rollsessel hineinschieben, dieses Final mit dem: stille! stille! fort! fort! gleichsam verklingen sollte, damit das Final des ganzen Stücks desto brillanter vorsteche und überhaupt ieder Ackt anders endige. Die Trompeten und Paucken nehmen sich herrlich am Ende des zweiten und alle Weiber freuen sich über das: wir haben ihn und singen gefangen, gefangen Chorus mit. Neulich haben wir in der Ordnung die Arie Gern in stillen, nach dem Tanze dal segno wiederhohlt wo sie sich herrlich und befriedigend ausnimmt. Überhaupt wird iedermann iedesmal die Musick lieber, und unsre Proben sind für uns indessen gut, die wir nicht Partituren lesen und uns wie der glückliche Componist eine Oper im Kopfe aufführen können. Ob ich gleich nie ohne heimlichen Ärger noch eine Probe verlassen habe.
Daß Scapin im vierten Ackte gewissermassen sich der Zärtlichkeit nähert werden Sie schon leiten und führen. Der Musikus kann alles, das höchste und tiefste kann, darf, und muß er verbinden, und blos in dieser Überzeugung habe ich mein Proteus artiges Ehpaar einführen können und wollte noch tolleres [167] Zeugwagen, wenn wir rechte Sänger Ackteurs und ein groses Publikum vor uns hätten. Die Stelle im ersten Ackte: ich sah ihn an pp nimmt sich recht gut aus.
Mit Erwin und Elmire habe ich vor Statt Mutter und Bernardo noch ein Paar iunge Leute einzuführen die aus eine andre Weise in Liebes Uneinigkeit leben, also zwey Intriguen die sich zusammenschlingen und am Ende beyde sich in der Einsiedeley auflösen. Vom Gegenwärtigen bliebe nichts als die singbarsten Stücke die Sie auswählen könnten.
Von Claudinen bliebe auch nur was an der Fabel artig und interessant ist. Dem Vater würde ich mehr dumpfen Glauben an das Geister und Goldmacher Wesen geben wie er in unsern Zeiten herrschend ist. Den Basko zu einem klugen mystischen Marcktschreyer und Betrüger machen. Crugantino behielte seinen Charackter, eben so Claudine und Pedro. Die Nichten würden karackteristischer und stufenweise subordinirt auch in die Intrigue mehr eingeflochten. Die Vagabunden, die man durch Nachahmung so eckelhafft gemacht hat, würde ich durch eine neue Wendung aufstutzen, sie machten das männliche Chor, ein weibliches wollte ich auch noch anbringen. pp. Wenn Sie Zeit und Lust haben lesen Sie doch das Stück sagen Sie mir was Ihnen bezüglich auf Musick darinnen gefällt und misfällt, vier Augen sehn mehr wie zweye. Auch ist mir drum zu thun daß ich in beyden Stücken [168] nichts wegwerfe was Ihnen lieb ist. In Claudine würde ich den Sebastian wegwerfenden Pedro thätiger machen und wir haben immer noch Leute genug.
Da ist denn allerley zum Nachdencken und auf Jahre hinaus Arbeit. Es kommt nur drauf an wenn unser erstes Stück fertig ist, daß wir uns ein Publikum suchen, damit alles lebendig werde und auch etwas eintrage.
Die Leichtigkeit die Sie am Re Teodoro rühmen giebt sich blos durch die lebendige Übung, sie fehlt mir selbst noch bey meinen Arbeiten. Der Einsame mögte gern das Werck in sich vollkommen haben und erschweert sich's selbst, wer für Menschen arbeitet, sieht daß eine relative Vollkommenheit würckender ist und bequemer hervorgebracht wird, dieser Begriff leitet ihn und seine Wercke werden würcklich vollkommner indem sie mehr lebendige Folge haben.
Leben Sie wohl und schicken und schreiben balde.
Weimar d. 23. Jan. 86.
G.
Wegen der Prosodie lassen Sie Sich nicht bange seyn was einer schreiben kann wissen wir alle, und das seinere hängt mehr vom Geschmack ab als von irgend einer Regel, wie in ieder lebendigen Kunst.
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