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An Adolf Heinrich Friedrichvon Schlichtegroll

Wohlgeborner,
Insonders hochgeehrtester Herr.

Ew. Wohlgeboren freundliches Schreiben vom 15. November finde ich leider noch unter meinen unbeantworteten Briefe, und vielleicht dient es mir zu einiger Entschuldigung, daß deren nicht wenige sind. Es geht ein Tag nach dem andern, unter so mancherley Beschäftigungen hin, daß man immer die Augen auf[253] die Nähe gerichtet haben muß, und der Blick in die Ferne weniger frisch bleibt.

In dem gegenwärtigen Falle kommt noch dazu, und der Blick in die Ferne weniger frisch bleibt.

In dem gegenwärtigen Falle kommt noch dazu, daß die bey mir gethane Anfrage zwar ehrenvoll, aber bedenklich ist: denn es aus manchen Gründen schwer, eine Inschrift zu finden, ja sogar zu beurtheilen; und so viel deren in der Welt auch aufgestellt sind, so schwierig wird immer eine neue für jeden der nicht ein angebornes Talent dazu hat; in welchem Fall Herr von Birkenstock war, der gleichsam in Lapidarstyl dachte. Hier folgen ein paar lateinische und deutsche, die wir gleich nachdem wir Ihren Wunsch vernommen, aufgesetzt hatten, aber selbst zweifelhaft darüber sie bis jetzt liegen ließen. Nun aber mögen sie denn doch abgehen. Das Frühjahr naht allmählich und Sie sind vielleicht in dem Fall nächstens Ihren Garten einzuweihen; wozu ich alles Glück wünsche. Das mir mitgetheilte Distichon würde die innere Seite des Portals recht wohl zieren.

Grüßen Sie meinen Freund Jacobi auf das allerbeste. Ich habe sein Werk mit vielem Antheil, ja wiederholt gelesen. Es setzt die Überzeugung und das Interesse der Seite auf der er steht mit so großer Einsicht als Liebe und Wärme auseinander, und dieß muß ja demjenigen höchst erwünscht seyn, der sich von der anderen Seite her in einem so treuen, tief und wohldenkenden Freunde bespiegelt.

[254] Freylich tritt er mir der lieben, wie man zu sagen pflegt, etwas zu nahe; allein das verarge ich ihm nicht. Nach seiner Natur und dem Wege den er von jeher genommen, muß sein Gott sich immer mehr von der Welt absondern, da der meinige sich immer mehr in sie verschlingt. Beydes ist auch ganz recht: denn gerade dadurch wird es eine Menschheit, daß wie so manches andere sich entgegensteht, es auch Antinomieen der Überzeugung gibt. Diese zu studiren machte mir das größte Vergnügen, seitdem ich mich zur Wissenschaft und ihrer Geschichte gewandt habe.

Grüßen Sie mir den Freund wiederholt zum allerschönsten.

Da in Absicht auf antike Kunst das Beste was ich neben mir habe die Mionetischen Münzpasten sind, so denke ich manchmal mit einigem Neid an das Glück das Ihnen geschenkt ist, die kostbarsten Originale vor sich zu haben. Sollte sich wie mir nicht unwahrscheinlich ist, in München jemand finden, der solche Schwefelabgüsse nach Mionetischer Art verfertigte, so würde ich Sie ersuchen, mir gefällig einige, und wenn es auch nur ein Dutzend wären gelegentlich zu senden. Da mich der Styl der Kunst daran vorzüglich interessirt, so würden mir besonders solche höchst erfreulich seyn, welche in der Zeit zwischen Phidias und Lysippus geprägt sind. Ich besitze selbst eine kleine Münze von Rhodus, aus dieser Epoche. Der Sonnengott ist noch [255] im Profil vorgestellt und von unglaublicher Schönheit, anstatt daß die spätern nach der Errichtung des Coloß geprägten, das Gesicht von vorne Zeigen. Die Mionetsche Münzpastensammlung hat keine andere als von dieser Art. Wie sehr wünschte ich mich durch das Anschauen solcher Schätze unter Ihrer Leitung und Auslegung belehren zu können.

In diesen Tagen sind ein paar geschickte Musiker von Weber und Bärmann, bey uns mit großem Beyfall aufgenommen worden, den uns mit großem Beyfall aufgenommen worden, den sie auf alle Weise verdienen. Ew. Wohlgeboren kennen diese schönen Talente gewiß selbst und haben schon durch sie manches Vergnügen genossen.

Darf ich noch ein Blättchen beylegen, in welchem eine Sammlung von Handschriften verzeichnet ist, die ich besitze. Könnten Sie von frühern und mitlebenden Baiern mir dergleichen verschaffen, so gschähe mir eine besondere Gefälligkeit. Sollte nicht von dem wackern Aventin eine Zeile vorhanden seyn.

Mich zu geneigtem Andencken empfehlend

W. d. 31. Jan.

Ew. Wohlgeb. Ergebenster Diener

1812.

Goethe. [256]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1812. An Adolf Heinrich Friedrichvon Schlichtegroll. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-95F9-0