23/6358.

An Carl Friedrich von Reinhard

Meine Frau, die sich Ihnen, verehrter Freund, zum allerschönsten empfiehlt,

geht endlich, nach einem ziemlich langen Aufenthalte, von Carlsbad nach Weimar zurück; sie wird das Gegenwärtige nach Thüringen mitnehmen und es alsdann auf die Post geben. Das erste das mich sehr angenehm überraschte, war Brief und Packet von Ihnen; jener versicherte mich Ihres theueren Andenckens, dieses unterhielt auf's neue eine unschuldige Liebhaberey, die, je länger man sie hegt, immer bedeutender wird, zum Nachdencken aufruft und eine gesellige Mittheilung begünstigt. Bald darauf brachte man mir von Wien her eine ähnliche Sendung; ich beschäftigte mich, die Blätter zu rangiren und zu rubriciren und setzte, durch diesen Besitz noch habsüchtiger gemacht, gar manchen Freund und Wohlwollenden in Cotribution, so daß das Packet gegenwärtig, wie es vor mir liegt, schon selbst für eine bedeutende Sammlung gelten kann.

Ihr gütiges Zutrauen, daß Sie diese Blätter aus dem Volum Ihres Lebens herausgehoben und die Bedeutsamkeit desselben mir noch deutlicher als bisher zu schauen gegeben, empfinde ich tief, da ich den gemühtlichen Antheil, den ich an Ihrem Daseyn hege, noch durch Kenntniß und Einsicht erhöht fühle. Das[56] erklärende Verzeichniß regt mich auf, solches über die ganze Sammlung zu erstrecken und ihr dadurch erst einen wahren Werth zu verschaffen.

Die Ruhe, die mir besonders im May und halben Juni hier gegönnt war, habe ich an die Redaction des zweyten Bandes meines biographischen Scherzes gewendet; er wird Michaelis hervortreten, und ich freue mich, dadurch die einzige Absicht gewiß zu erlangen, daß ich mich mit entfernten Freunden unterhalte und der Gefahr, ihnen bey Lebzeiten abzusterben, entgehe. Ein Exemplar wird für Sie zurückgelegt um es gelegentlich zu senden.

Von obengedachter Zeit an fing jedoch Böses und Gutes so wundersam an bey mir zu wechseln, daß ich mich der letztvergangenen zwey Monate gegenwärtig kaum mehr deutlich erinnern kann. Unversehens trat mein altes Übel mit solcher Gewalt hervor, daß ich mehr als billig ist gelitten habe. Ich brachte vierzehn Tage zu, um mich einigermaßen zu erholen, in welcher Zeit die ersehnten majestätischen Erscheinungen wie ein Traum bey mir vorübergingen. Ein paar Gedichte, die ich im Namen der Carlsbader vorbereitet hatte, wurden gnädig aufgenommen. Glücklicher Weise war ich indessen hergestellt, als mich der Hezog nach Töplitz berief, wo mir in der Nähe der Kaiserinn von Östreich Majestät mehr Glück und Gutes widerfahren als ich verdiene und welches ganz überschwenglich gewesen wäre, wenn mich nicht die[57] Sorge, meine Kräfte möchte nicht hinreichend seyn es auszutragen, oft mitten im Genuß an die menschliche Beschränkheit erinnert hätte.

Der Begriff, den ich mir von dieser außerordentlichen Dame in dem Zeitraume von hier Wochen vollständig bilden konnte, ist ein reicher Gewinn für's ganze Leben. Ich darf nicht anfangen von ihr zu reden, weil man sonst nicht aufhört; auch sagt man in solchen Fällen eigentlich gar nichts schwerer als ein Individuum zu schildern, welches Verdienste in sich hegt, die dem Allgemeinen angehören. Eine solche Erscheinung gegen das Ende seiner Tage zu erleben, giebt die angenehme Empfindung, als wenn man bey Sonnenaufgang stürbe, und sich noch recht mit inneren und äußeren Sinnen überzeugte, daß die Natur ewig productiv, bis in's Innerste göttlich, lebendig, ihren Typen getreu und keinem Alter unterworfen ist.

Mehr füge ich nicht hinzu, damit ich nicht etwa aus diesen hohen Regionen auf die Erde mich unvermerkt herabgezogen sehe. Weil aber die Freundschaft auch dorthin gehört, so darf ich derjenigen wohl noch erwähnen, die für Sie unverbrüchlich in meinem Herzen waltet.

Alles Gute und Erfreuliche!

Carlsbad den 13. August 1812.

Goethe. [58]

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1812. An Carl Friedrich von Reinhard. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-960E-B