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An Kaspar von Sternberg

Zum vergangenen Weinachtsfeste verehrte mir mein gnädigster Herr das höchst ähnliche Bildniß eines trefflichen Freunden, den es mir früher als Unbekannten darstellen sollte, nun aber den Wohlbekannten doppelt und dreyfach näher bringt.

Hiebey kam zur Sprache: sollte man wünschen, sich früher gekannt zu haben? Hierauf ward erwidert: wenn zwey Reisende, aus zwey entfernten Weltgegenden nach einen Punct zusammenstrebend, sich endlich auf demselben treffen, ihren Erwerb vergleichen und das einseitig Gewonnene wohlwollend austauschen, so möcht es wohl vortheilhafter seyn, als wenn sie die Reise zusammen angetreten und vollbracht hätten.

[270] Und nun einiges Wissenschaftliche mitzutheilen.

Das so freundlich- als reichhaltige Schreiben nach glücklicher Zurückkunft hat mir neue Nahrung für den Augenblick, für die nächste Zukunft viel Trost und Hoffnung gegeben. v. Martius ist noch im Spätherbst an den Rhein gekommen, und ich weiß durch Nees v. Efenbeck ungefähr, wie es mit den besondern und den gemeinsamen Vorarbeiten der brasilianischen Schätze allenfalls werden kann. Durchaus aber läßt sich er kennen, wie wirksam die reise der trefflichen östreichischen Naturforscher gewesen. Unser Präsident ist nicht ohne Hoffnung, daß die preußischen Brasiliensia sich gleichfalls anschließen werden.

Frauenhofers Bemühungen kenn ich; sie sind von der Art die ich ablehne, mehr darf ich nicht sagen. Gott hat die Natur einfältig gemacht, sie aber suchen viel Künfte.

Daß ich einem so werthen neuerworbenen Gönner und Freunde das einzige trübe Scheibchen, den einzigen Cubus überließ, geschah nicht ohne Ahnung, daß dadurch ein Segen in das ganze Geschäft kommen müsse; und so war es auch: gleich in Redwitz erfand der junge Fikentscher eine leichte Methode das Glas zu trüben, die Erscheinungen sind auffallend erfreulich. Nun kommen mir von Berlin her entoptische Glasplättchen nach Wunsch, durch deren Trefflichkeit noch eine concisere Darstellung als ich in meinem Hefte gegeben möglich wird, überdieß auch Phänomene auffallend [271] anmuthig, so curios als belehrend dem Auge darzubieten sind. Von allem übersende Musterstücke zu erfreulicher Betrachtung.

Das geologisch Mitgetheilte ist in die übrige Erkenntniß aufgenommen worden. Daß dieses nun leichter und consequenter geschehen könne, dafür sind wir Reserstein Dank übrig.

Wenn ein anderer bey vorkommenden Phänomenen, die wir gern auf der Räthselseite der Natur stehen lassen, gleich die Erdrinde durchbricht und, um das Unbekannte zu erklären, zu unbekanntesten Regionen seine Zuflucht nimmt, starrt der Menschenverstand, fängt an sich selbst zu mißtrauen.

Über diesen Unfug langte schon vor einiger Zeit ein Klageschreiben bey mir ein, welches hier mit Vergunst einen Platz finden möge.

»Neufohl in Ungarn.

Professor Pusch, der durch vier Monate unser Gast war, hat Ungarn in mehreren Richtungen durchreis't. Er wird die ungereimten Nachrichten des Beudant in seiner Voyage mineralogique en Hongrie, besonders über die Perlstein-Formation kräftig widerlegen. Es ist in der That ärgerlich, daß ganz Europa einem Manne, der sich in der Schule der Vulkanisten bildete, blindlings nachplappert. Beudants Ansichten sind aus der Auvergne her, und nun sieht er auch Ungarn mit denselben Augen wieder an. Daraus entsteht der Nachtheil, daß man in Gefahr kommt zu [272] wähnen, die Schemnitzer und Kremnitzer Erzniederlagen seyen durch vulkanische Processe entstanden. Auch die Hartmann'sche Übersetzung der Geographie von d'Aubuisson de Boisins erwähnt schon Beudants Ansichten; und so verbreitet sich eine falsche Lehre von Mund zu Munde, weil man das Behauptete, besonders in wie fern es Bezug auf Ungarn hat, ohne Untersuchung nachspricht. In wie weit durch die ungarischen Sammlungen des Dr. Zipfer, die nach allen Gegenden hin verbreitet sind, diesen Irrthümern Einhalt geschehen, wird die Zeit lehren.«

Wer die Kirchen- und Ketzer-Geschichte recht gut kennt, wird sich nicht so bitter wie unsere Ungarn über die Wiederkehr der gewaltsamen Brandepoche beklagen. Irrthümer haben so gut wie Wahrheiten ihre Jahres- und Tageszeiten, ihres Gehens und Kommens. Der gute alte Fichtel hielt bis an sein Lebensende bey der Gluth und kam nach und nach so weit, daß er das Steinfalz vulkanischen Gebirgen zuschreiben mußte; wie die Neuern jetzt Gold- und Silberadern daher ableiten müssen. Und das kommt alles daher, daß die Menschen die Natur durch und durch erklären wollen; sie begreifen nicht, daß man bis auf einen gewissen Punct sehr sicher fortschreiten kann, dann aber sich entschließen muß, irgend ein Problem stehen zu lassen, dessen Lösung andern, vielleicht uns selbst in einiger Zeit vorbehalten ist.

Wegen des zu Eger gefundenen, in's Prager [273] Museums gestifteten fossilen Backzahns betrachtete ich sorgfältig die Kupfer zu Cuviers Pachydermen und versäumte nicht, den dazu gehörigen Text zu studiren. Ich sendete hierauf einen Gypsabguß Herrn d'Alton nach Bonn mit der Äußerung: »Dieser Backzahn möchte wohl zwischen die kleineren Mastodonten und größeren Tapir mitten innen zu stellen seyn; Sie werden ihm seinen Platz am sichersten anweisen.« Hierauf erhielt ich folgende Antwort: »Der fossile Zahn scheint mir sehr merkwürdig. Bey einer unverkennbaren Verwandtschaft mit dem Mastodont unterscheidet er sich doch wesentlich von allen dahin gehörigen, mir bis jetzt bekannt gewordenen Formen. Genehmigen Sie es, so denke ich darüber eine kleine Abhandlung mit einer Abbildung in die Acta der Leopoldinischen Akademie zu geben. Höchst erwünscht und besonders wichtig sind nach meiner Ansicht an diesem schätzbaren Fragment die äußeren, noch unentwickelten, maschenförmigen Lamellen, welche zu beweisen scheinen, daß überall noch ursprüngliche Entwickelungsformen vorliegen und die eigenthümliche Gestalt der Kauflächen nicht durch Abreiben der Spitzen entstanden. Ohne dieses besondere Merkmal könnte dieser Zahn wohl auf ein tapirartiges Thier gedeutet werden. –«

Damit aber ja diese Blätter, deren Inhalt sehr bunt durch einander geht, nicht noch länger verweilen, [274] so schließe mit den aufrichtigsten Versicherungen unwandelbarer Anhänglichkeit. Zugleich lege des [Herrn] von Henning Einleitung zu seinen Vorlesungen über meine Farbenlehre bey, welche ich einer gültigen Nachsicht besonders zu empfehlen habe. Denn meistens wird uns der Controvertirende lästig, sogar wenn wie geneigt sind, ihm recht zu geben. Dieses Unternehmen füge sich nun an den gang der Wissenschaft wie es kann; für mich ist es von dem größten Werthe, weil ich dadurch alles Haders los bin und künftighin nur die friedlichen Erweiterungen und Bestätigungen meiner Lehre und Lehrart mitzutheilen nöthig habe. Gönnen Sie diesem allen, wie es auch sey, eine freundliche Theilnahme.

Eine merkwürdige geologische Frage wird bey uns praktisch erörtert, da ich denn auf die Antworten der lieben Mutter Natur höchst neugierig bin. Es gilt nichts weniger als in unsern Flözgebirgen nicht etwa nur Sole, sondern sogar Steinsalz zu finden.

Herr Salinen-Inspector Glenck, der wegen großen Salzgewinnes im Württembergischen und Darmstädtischen berühmt ist, arbeitet gegenwärtig in unserer Nähe; er hat bey Gera den bunten Sandstein mit 400 Fuß durchbohrt, den älteren Zechstein gleichfalls und ist nun im alten Gyps, wo er Anhydrit findet und salzhaltigen Thon entdeckt hat. Ich bin ungläubig an den glücklichen Folgen dieser Operation, doch, wie ich gern gestehe, aus alten, vielleicht veralteten Vorstellungen, [275] und mir sollte sehr angenehm seyn, hierüber moderner aufgeklärt zu werden.

Da man bey erhöhtem Mechanismus mit dem Erdbohrer ganz umzuspringen weiß und ein glückliches Surrogat für die so kostbaren als langweiligen Schächte gefunden hat, so läßt sich freylich einer Überzeugung, wie es im Tiefsten des Gebirges aussehen möchte, leichter nachgehen und eine abschlägliche Antwort der alt-jungen Dame bringt den Freywerber nicht gleich in Verzweiflung.

Resersteins zweytes Heft des zweyten Bandes kommt zu diesen Betrachtungen sehr gelegen; doch ist das dort Ausgeführte nicht hinreichend, eine Analogie mit unseren Gegenden zu begründen. Übrigens ist es höchst erfreulich, einen so wichtigen Punct entschieden wieder angeregt zu sehen. In Ländern, wo das Unternehmen glückte, hat man die Salzpreise fast auf ein Fünftel reducirt, wodurch denn freylich jedermann, besonders aber die großen ökonomischen und technischen Anstalten höchst begünstigt werden. Ich verfehle nicht, so wie über das Ganze also auch besonders über das, was in unserer Gegend vorgeht, von Zeit zu Zeit Nachricht zu geben, wobey ich mich wohl auf Reserstein beziehen darf.

Da ich diesen Namen nenne, so will ich gern gestehen, daß ich ihn auch schon zu jenen Zwecken im Sinne hegte. Haben Sie die Güte, fernerhin Wunsch und Absicht zu überdenken. Lassen Sie mich aber[276] vorläufig gestehen, daß ich bey den mannichfaltigen Ansichten, wie sie jetzt auf das Mineralreich gerichtet sind: als nach äußeren Kennzeichen und mäßig chemischem Antheil, nach crytallographischen Messungen und Bestimmungen, wo man mit den Chemikern in Händel geräth, nach chemischen endlich, die uns das Gränzenlose der Erfahrung erst recht aufdecken, daß ich endlich von der geologischen Seite eine Hülfsmethode zu ahnen glaubte, wodurch wir auf ein Vierteljahrhundert uns wieder einige Bequemlichkeit verschaffen und den Unterricht möglich machen pp.

treulichst

W. d. 12. Jan. 1823.

J. W. v. Goethe.

(die Fortsetzung nächstens.)

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1823. An Kaspar von Sternberg. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-961E-7