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An den Herzog Carl August

Mayland d. 23. May 88.

Sähe ich Mayland jetzt im Herwege und käme aus den Gebürgen in diese weite Gegend, diese frey gelegne Stadt, Zögen sich die fernen Apeninen ahndungsvoll am Horizont hin, was würde ich für Hymnen singen und für Freude unter diesem schönen Himmel am Obste u. s. w. haben. Nun ist mir verwöhnten Römer nichts recht und ich bin doch sonst eine genügsame Seele.

Gestern war ich auf dem Dom, welchen zu erbauen man ein ganzes Marmorgebirg in die abgeschmacktesten Formen gezwungen hat. Die armen Steine werden noch täglich gequält, denn der Unsinn oder vielmehr der Armsinn ist noch lange nicht zu Stande.

Ich sah die Hügel um den Comer See, die hohen Bündtner und Schweitzer Gebirge vor mir wie ein Ufer liegen, an dem ich nach einer wunderlichen Fahrt wieder landen werde. Wir waren am 22. Abends hier und gedencken, wie ich schon aus Rom schrieb, über Chiavenna und Chur zu gehen, den Splügen zu versuchen, den Adula zu grüßen und dann ein wenig seitwärts nach Constanz zu rücken. Dort wollen wir den 4. Juni eintreffen und im Adler die Spur jener [373] famosen Wandrung aussuchen und die gute Schultheß von Zürch treffen, welche ich sprechen und begrüßen muß, ohne den Kreis des Propheten zu berühren.

An der Bestimmtheit der Datums unsrer Reise, sehen Sie daß ich mich bestrebe den Canzler Schmidt seel. nachzuahmen, damit ich wenigstens von einer Seite der Zucht und Ordnung zu nähern suche. Denn übrigens bin ich ganz entsetzlich verwildert. Ich habe zwar in meinem ganzen Leben nicht viel getaugt und da ist mein Trost daß Sie mich eben so sehr nicht verändert finden sollen.

Der Abschied aus Rom hat mich mehr gekostet als es für meine Jahre recht und billig ist, indessen habe ich mein Gemüth nicht zwingen können und habe mir auf der Reise völlige Freyheit gelaßen. Darüber habe ich denn jede Stunde wenigstens siebenerley Humor und es freut mich von Herzen daß die Sudeley dieses Briefs ins lustige Siebentel fällt.

Wie mir hier, da ich nun bald zwey Jahre an die solideste Kunst gewohnt bin, die Kramläden, vom Nürnberger Tand an biß zu den französchen Rebus,



emaillirt und mit Steinchen eingefaßt, vorkommen, kann ich gar nicht sagen.

[374] Dagegen ist das Abendmal des Leonard da Vinci noch ein rechter Schlußstein in das Gewölbe der Kunstbegriffe. Es ist in seiner Art ein einzig Bild und man kan nichts mit vergleichen.

Kayser studirt hier den Ambrosianischen Ritus, bringt ein Buch Messen von Palestrina und das Motett vom Palmsonntag lamentabatur Jacob, von Morales, auch das tu es Petrus von Scarlatti pp mit. Daß nur Bode nichts davon erfährt, sonst kommen wir übler an als Starke, besonders wenn er wissen sollte, daß ich meine größte Spekulation darauf richte: ein Madonnen-Bild zu mahlen, das noch bey meinen Lebzeiten in Rom Wunder thun soll. Leben Sie tausendmal wohl. Verzeihen Sie meinem italiänischen Schreibzeug und meinen Poßen, ich werde schon wieder dafür büsen müßen. Empfehlen Sie mich Ihrer Frau Gemahlinn zu Gnaden und laßen mich das alte Glück voriger Zeit, einen gnädigen Herren und einen theilnehmenden Freund wieder finden.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1788. An den Herzog Carl August. An den Herzog Carl August. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-962B-9