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An Carl Friedrich Zelter

Einer Sendung an Herrn Friedländer muß ich ein Blatt beylegen, welches, wenn es auch etwas später an dich gelangt, doch liebevoll von dir aufzunehmen ist. Es soll dir von allen Dingen Dank sagen, daß du meinen Wunsch sobald an diese Kunstfreunde bringen wollen, und dich zugleich ersuchen, diesen wackern Männern zu danken, daß sie mich mit ihrer Sendung sogleich und gerade zum Neuenjahr erfreut. Es ist abermals ein problematisches Werk und dient uns andern, die wir in Norden, leider mehr in der Kritik als im Anschauen leben, zu gar mannigfacher Unterhaltung. Du läßt dir ja wohl gelegentlich den Brief zeigen, in welchem ich mich darüber erklärt. Da ich denn doch zur Identitätsschule gehöre, ja zu ihr geboren bin, so ist mir freylich auch hier die schwere Aufgabe auferlegt, unbarmherzige Kritik und unsinnigen Enthusiasmus zu verbinden.

Ifflands Gegenwart hat mir sehr große Freude gegeben. Ich habe mich ganz rein an seinem Talent ergetzt, alles aufzufassen gesucht, wie er es gab, und[242] mich um's Was gar nicht bekümmert. Nimm folgende Bemerkung geduldig auf: Wenn man es mit der Kunst von Innen heraus redlich meynt, so muß man wünschen daß sie würdige und bedeutende Gegenstände behandle: denn nach der letzten künstlerischen Vollendung tritt uns, sittlich genommen, der Gehalt immer als höchste Einheit wieder entgegen, deswegen werden wir W. K. F. auch in den Propyläen, da wir noch in dem Wahn stunden, es sey auf die Menschen genetisch zu wirken, uns über die Gegenstände so treulich äußerten und unsre Preisaufgaben dahin richteten; dieß ist aber alles vergebens gewesen, da gerade seit der Zeit das Legenden- und Heiligenfieber um sich gegriffen und alles wahre Lebenslustige aus der bildenden Kunst verdrängt hat. Doch hierüber klage ich nur im Vorbeygehn: denn in Gefolg meiner ersten Rede wollte ich nur sagen, daß die Kunst, wie sie sich im höchsten Künstler darstellt, eine so gewaltsam lebendige Form erschafft, daß sie jeden Stoff veredelt und verwandelt.

Ja es ist daher dem vortrefflichen Künstler ein würdiges Substrat gewissermaßen im Wege, weil es ihm die Hände bindet und ihm die Freyheit verkümmert, in der er sich als Bildner und als Individuum zu ergehen Lust hat. Man hat den Musikern wiederholt vorgeworfen, daß sie schlechte Texte lieben, man erzählt zum Scherz, daß einer sich offerirt, den Thorzeddel zu componiren, und wäre der Gesang nicht von [243] dem Texte unabhängig, wie hätte denn die Charfreytags musik in der Sixtinischen Capelle mit Vitulos endigen können? und was dergleichen mehr ist. Mancher Comödienzeddel gäb eine bessere Oper als das Büchelchen selbst, wenn man es recht darauf anlegte; und so hab ich die Belebung todter Stücke, ja die Schöpfung aus nichts an Ifflanden höchlich bewundern müssen. Die Menge jedoch, welche immer stoffartig gesinnt ist, betrübte sich über den großen, nach ihrer Meynung verschwendeten Aufwand.

Merkwürdig war die Wirkung des Don Ranudo. Die Grundnichtswürdigkeit des Stücks, die unsittliche Forderung, daß der Geburtsadel auf seinen Schatz unwürdig Verzicht thun solle, trat wie ein Gespenst hervor und beynah tausend Menschen in einem kleinen Hause wurden verstimmt: denn selbst der gemeine Menschenverstand muß fühlen, daß Jemand nicht verdient, erniedrigt zu werden, der sich seiner Natur nach nicht erniedrigen kann und will; vor Mitleiden konnte kein Mensch zum Lachen kommen.

Dieses Phänomen war mir um deswegen merkwürdig, weil ich als ein Symptom ansah, daß der Sansculottism schon veraltet sey und die verschiedenen Stände gegenwärtig ganz andere Sorgen und Leidenschaften haben, als daß sie sich unter einander necken, bekriegen und aufreiben möchten.

Merkwürdig war mir es außerdem, daß Iffland, der in seinen geschriebenen Stücken die ausführlichste[244] Breite sucht, in seinem Spiel das Concise, Knappe der extemporirten Stücke wieder heranfordert. Wie anders sähe unter Theater aus, wenn er nicht diesen Umweg hätte machen müssen, wie anders sähe es mit uns allen aus, wenn die directen Wege zum Heil nicht jedem Menschen ein Geheimniß blieben!

Kaum war Iffland abgereist und Epiphanias erschienen, so machte ich Ernst, die heiligen drey Könige bey mir einkehren zu lassen, und durch deine lieben Gesänge sowohl diesen Tag zu feyern, als uns die Aussicht auf Ostern und Pfingsten heiter zu eröffnen. Es war ein schöner und vergnügter Abend, den wir dir durch öftere Wiederholung dieser und anderer deiner Dinge schuldig geworden. Ich hoffe dieser Anfang und Eingang soll gesegnete Folgen haben.

Von mir wüßte ich weiter nichts zu sagen, als daß ich in allem meinen Wesen abwechselnd fortfahre und daß manches gedeiht, obgleich mein Befinden nicht durchgängig das beste ist. Aufregend und höchst erheiternd bleibt mir die Bemühung, Gegenstände alter Kunst aus übriggebliebenen historischen Nachrichten, Trümmern, Anlässen und Ähnlichkeiten wieder herzustellen. Mit Myron's Kuh, glaub ich, ist mir's gelungen.

Herrn Pfund hab ich gern und freundlich, obgleich nur kurze Zeit gesehn. Er empfahl sich mir besonders durch seine Anhänglichkeit an dich. Seine Braut fing ich an als Kind von acht Jahren zu [245] lieben und in ihrem sechzehnten liebte ich sie mehr wie billig. Du kannst ihr auch deshalb etwas freundlicher seyn, wenn sie zu Euch kommt.

Und nun das herzlichste Lebewohl!

Weimar den 15. Januar 1813.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1813. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9636-F