8/2541.

An Charlotte von Stein

Rom d. 20. [- 23.] Dec. 86.

Noch ist kein Brief von dir angekommen, und es wird mir immer wahrscheinlicher daß du vorsätzlich[98] schweigst, ich will auch das tragen und will dencken: Hab ich doch das Beyspiel gegeben, hab ich sie doch schweigen gelehrt, es ist das erste nicht was ich zu meinem Schaden lehre.

Heute Nacht hatt ich halb angenehme, halb ängstliche Träume. Ich war in Eurer Gegend und suchte dich. Du flohst mich und dann wieder wenn ich dir begegnen konnte, wich ich dir aus. Deine Schwester und die kleine Schardt fand ich beysammen. Letztere versteckte etwas vor mir, wie ein farbiges Strickzeug. Sie erzählten mir, du lesest jetzt mit vieler Freude die englischen Dichter und ich sah zugleich zum Fenster hinaus einen anmutigen grünen Berg mit Lorbeerhecken und Schneckengängen die hinauf führten. Man sagte mir es sey der englische Parnaß. Ich dachte darüber wird sie mich leicht vergessen und schalt auf die englischen Dichter und verkleinerte sie. Dann sucht ich dich in meinem Garten und als ich dich nicht fand, ging ich auf die Belvederesche Chaussee, wo ich ein Stück Weg hatte machen lassen das mich sehr freute. Wie ich dabey stand kamen Oppels gefahren die mich freundlich grüßten, welches mir eine sehr frohe Empfindung war. – So bleibt der entfernte mit den zartesten Banden an die seinigen gefeßelt. – Gestern träumte ich die Herdern sey, eben als ich in ihr Haus trat, in die Wochen gekommen.

Hab ich dir denn von Rom nichts zu schreiben als Träume? Noch viel! Gar viel!

[99] Ich fange nun an die besten Sachen zum zweytenmal zu sehen, wo denn das erste Staunen sich in ein Mitleben und näheres Gefühl des Werthes der Sachen auflöst.

Ich lasse mir nur alles entgegen kommen und zwinge mich nicht dies oder jens in dem Gegenstande zu finden. Wie ich die Natur betrachtet, betrachte ich nun die Kunst, ich gewinne, wornach ich solang gestrebt, auch einen vollständigern Begriff von dem höchsten was Menschen gemacht haben, und meine Seele bildet sich auch von dieser Seite mehr aus und sieht in ein freyeres Feld.

Von gewißen Gegenständen kann man sich gar keinen Begriff machen ohne sie gesehen, in Marmor gesehen zu haben, der Apoll von Belvedere übersteigt alles denckbare, und der höchste Hauch des lebendigen, jünglingsfreyen, ewigjungen Wesens verschwindet gleich im besten Gypsabguß.

So ist eine Medusenmaske wo in einer hohen, schönen Gesichtsform das ängstliche Starren des Todtes unsäglich trefflich ausgedruckt ist. Ich suche einen guten Abguß um dir das mögliche mitzubringen, aber es ist der Zauber des Marmors nicht übergeblieben und das edle des halbdurchsichtigen, der gilblichen Fleischfarbe sich nähernden Steins ist verschwunden, der Gyps sieht immer dagegen Kreidenhaft und todt.

Aber was es für eine Freude ist auch nur bey so einem Gypsgießer vorbey zu gehen, wo man die schönsten Sachen beysammen findet. Wir haben einen Colossalen [100] Jupiter Kopf gekauft, er steht in meiner Stube wenn ich ihn nur in deinen Saal stellen könnte.

Und doch ist das alles mir mehr Mühe und Sorge als Genuß. Die Wiedergeburt die mich von innen heraus umarbeitet, würckt immer fort, ich dachte wohl hier was zu lernen, daß ich aber so weit in die Schule zurückgehn, daß ich so viel verlernen müßte dacht ich nicht. Desto lieber ist mir's, ich habe mich ganz hingegeben und es ist nicht allein der Kunstsinn, es ist auch der moralische der große Erneuerung leidet. Viel erleichtern würde mir diese sonderbare Hauptepoche meines Lebens, wenn ich ein freundlich Wort von dir vernähme, da ich jetzt alles allein austragen muß. Doch ich will dirs nicht abzwingen, folge deinem Herzen, und ich will meinen Weg im Stillen endigen. Tischbein und Moritz sind mir von großer Hülfe, und wißen nicht was sie mir sind, da auch hier der zum Schweigen gewöhnte, schweigt. Lebe wohl. Grüße die deinigen. Ich werde fortfahren dir zu schreiben. Diesmal kommt mir dein Geburtstag ohne daß ich mich dessen mit dir freuen kann. Wie erfreulich wird der nächste seyn, wenn du mich nicht ganz von deinem Herzen ausschließen willst.

abgeg. d. 23. Dec. 86.

d. 23. Dec. Abends.

Laß mich dir nur noch für deinen Brief dancken! Laß mich einen Augenblick vergessen was er schmerzliches enthält. Meine Liebe! Meine Liebe! Ich bitte [101] dich nur fusfällig, flehentlich, erleichtere mir meine Rückkehr zu dir, daß ich nicht in der weiten Welt verbannt bleibe. Verzeih mir großmütig was ich gegen dich gefehlt und richte mich auf. Sage mir oft und viel wie du lebst, daß du wohl bist daß du mich liebst. In meinem nächsten Briefe will ich dir meinen Reiseplan schreiben, was ich mir vorgenommen habe und wozu der Himmel sein Gedeyhen gebe. Nur bitt ich dich: sieh mich nicht von dir Geschieden an, nichts in der Welt kann mir ersetzen was ich an dir, was ich an meinen Verhältnißen dort verlöhre. Möge ich doch Krafft alles widrige männlicher zu tragen mitbringen. Eröffne die Kasten nicht, ich bitte und sey ohne Sorgen. Grüße Stein und Ernst, Fritzen dancke für seinen Brief er soll mir oft schreiben, ich habe schon für ihn zu sammeln angefangen, er soll haben was er verlangt und mehr als er verlangt.

Daß du kranck, durch meine Schuld kranck warst, engt mir das Herz so zusammen, daß ich dirs nicht ausdrucke. Verzeih mir ich kämpfte selbst mit Todt und Leben und keine Zunge spricht aus was in mir vorging, dieser Sturz hat mich zu mir selbst gebracht. Meine Liebe! meine Liebe!

Ließ doch Anton Reiser ein psychologischer Roman von Moritz, das Buch ist mir in vielem Sinne werth. Der arme Narr liegt nun schon 26 Tage auf Einem Flecke an einem Armbruche.

[102] Fritzen schreibe ich mit nächster Post.

Vom 4. Nov. war ein Blat an den Herzog das du sehn solltest. Meine Tagbücher müssen endlich kommen und dir mein Herz bringen, dir sagen daß du mir einzig bist und daß du mit niemand theilest.

Lebe wohl! liebe mich! daß ich mit Freuden sammle und dir neue Schätze bringe.

Im Leben und Todt der deine.

G.


Dieser Brief kommt durch der Herzoginn Einschluß ich siegle ihn mit Oblaten und dem Köpfgen. Ich habe bisher mit verschiednen Siegeln gesiegelt und wills künftig immer notiren.

Tischbein grüßt Fritzen er wird für ihn sorgen helfen.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1786 [2]. An Charlotte von Stein. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-963A-7