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An Johann Heinrich Meyer

Weimar den 30ten December 1795.

Ihren Brief, mein Werthester, aus Rom, vom 22. November habe ich erst gestern erhalten, da meine Mutter ihn nicht sogleich spedirt hatte, schreiben Sie, mir künftig nur gerade hierher.

Es ist einer von meinen lebhaftesten Wünschen erfüllt Sie gesund in Rom zu wissen, wenn Sie nur wieder an jenes Leben gewohnt sind, so werden Sie gewiß in einem hohen Grade glücklich seyn und wenn Sie erst etwas unternehmen und arbeiten, so wird wenig an Ihrer Zufriedenheit fehlen.

Das Deraisonnement der Deutschen in Rom mag sich noch widerlicher ausnehmen als wenn man es in Deutschland hören muß, und doch ist das Gespräch überall nichts als ein Austausch von Irrthümern, und ein Kreislauf von beschränkten Eigenheiten. Wir wollen unsern Weg recht still aber auch recht eigensinnig verfolgen. Lassen Sie nur ja niemand nichts von unsern Hypothesen, Theorien und Absichten merken, wenn die Leute von uns noch einige gute Meynung behalten sollen. Es ist bloß mit der Masse unserer vereinigten Kräfte und mit der Ausführung des Ganzen, daß wir ihnen in der Folge imponiren können und doch werden sie auszusetzen genug finden.

Ich war von je her überzeugt daß man entweder [359] unbekannt oder unerkannt durch die Welt gehe, so daß ich auf kleinen oder größeren Reisen, in so fern es nur möglich war, meinen Nahmen verbarg und künftig will ich ihn gewiß nur zu besserer Ausführung unseres Zweckes aushängen.

Ich habe diese Zeit her, so viel mir meine übrigen Zerstreuungen erlaubten, in den alten Büchern der Baukunst fortstudiret. Es ist eine Freude wie wacker und brav die Leute sind, und wie ernst es ihnen um ihre Sache ist. Serlio war mir ein eignes Phänomen, in dem ernsthaften und soliden Theile der Baukunst und gleichsam in ihren ersten Anfängen ist er fürtrefflich. So habe ich die Rustika nirgends so gut behandelt gesehen und so sind auch viele Anlagen von Gebäuden, wenn sie gleich ein etwas unangenehmes Ansehn haben, voller Verstand und Sinn; allein wo er in Mannigfaltigkeit und Zierrath übergehen will, wird er oft, man kann sagen, abgeschmackt, obgleich selbst aus diesen Schlacken noch manches Metallkorn herauszufinden wäre. Sehr hübsch ist es aber, daß man aus seinen wenigen beygefügten Noten sieht; daß er nicht aus Wahl sondern um dem mannigfaltigen Geschmack der Baulustigen zu dienen, dergleichen Ungeheuer aufgestellt hat. Man sieht, welche Höhen der menschliche Geist überklettern muß ehe er zur Zierde wieder herabsteigen kann.

Je mehr man den Palladio studirt, je unbegreiflicher wird einem das Genie, die Meisterschaft, der[360] Reichthum, die Versatilität und Grazie dieses Mannes. Im einzelnen mag manches gegen seine Kühnheit zu erinnern seyn, im Ganzen sind seine Werke eine Grenzlinie die niemand ausfüllt und die so bald überschritten ist.

Als Buch ist des Scamozzi Werk vielleicht eins der ersten die geschrieben worden sind. Eine Fülle, ein Umfang, eine Nüchternheit, eine Methode die höchst erfreulich sind. Seine Kenntnisse natürlicher Gegenstände so richtig und rein als es zu seiner Zeit nur möglich war. Er hat gereift und studirt und blickt frey und treffend in der Welt umher. Ich möchte aber auch beynah sagen die Baukunst ist der einzige Gegenstadt über welchen man ein solches Buch schreiben kann, denn nirgends ist das erste Bedürfniß und der höchste Zweck so nah verbunden, des Menschen Wohnung ist sein halbes Leben, der Ort wo er sich niederläßt, die Luft die er einathmet bestimmen seine Existenz, unzählige Materialien die uns die Natur anbietet, müssen zusammengebracht und genutzt werden wenn ein Gebäude von einiger Bedeutung aufgeführt werden soll. Wie schön sich über dieses alles Scamozzi genommen muß man aus seinem Werke selbst sehen.

Ich habe auch diese Zeit die berühmte Abhandlung des Hippokrates: de aëre aquis et locis gelesen und mich über die Aussprüche der reinen Erfahrung herzlich gefreut, dabey aber auch zu meinem Troste gesehen daß es ihm, wenn er hypothetisch wird, gerade geht [361] wie uns, nur möchte ich seine Hypothese eher den Schiffseilen und unsere Zwirnsfäden vergleichen.

Ein Buch, das den Titel führt: Finke, Versuch einer allgemeinen medicinisch practischen Geographie, ist sehr interessant, indem er aus allen Reisebeschreibungen was Clima, Nahrung, gesunden Zustand und Krankheiten betrifft, gesammelt hat; der Artikel von Italien ist zwar sehr mager, doch zeigt er eben was noch zu thun übrig ist.

Bertuch hat leider erst vor 14 Tagen eine starke Neapolitanische Post bezogen, er sagt aber: daß in kurzer Zeit er wieder eine ansehnliche Summe daher zu erwarten habe, wovon so viel man verlanget zu Diensten stehe. Es wird daher nichts zu thun seyn, wenn Sie mit dem mitgenommenen Gelde nicht reichen, als von dem Creditbrief Gebrauch zu machen und für diesmal den Schaden zu tragen.

Böttiger will den Catalogus von Tassie schon lange zurückgegeben haben, das Buch findet sich unter meinen übrigen nicht, unter denen es sich doch nicht leicht verstecken könnte; sagen Sie mir was Sie sich davon erinnern.

Nachdem das Volk Sie schon lange, per acclamationem, zum Professor gemacht hatte, hat Ihnen der Herzog den Charakter mit Anstellung bey der hiesigen Zeichenschule gegeben.

Ich gehe heute nach Jena um zu sehen ob ich mich aus der Zerstreuung in der ich dies Jahr beschlossen[362] habe, wieder erholen und an meinem Roman weiter fortrücken kann er wird auf alle Fälle leider Ostern nicht erscheinen.

Ich wünsche Glück zu der Acquisition des Poussins, leider geht es uns mit guten alten Kunstwerken meist wie mit den sibyllinischen Büchern, von denen der kleinste Theil immer noch unschätzbar ist.

Leben Sie recht wohl. Schreiben Sie mir von Zeit zu Zeit, ich würde auch schreiben ohne eben eine Antwort abzuwarten.

Hufeland Medicus hat einen Ruf nach Pavia an Franckens Stelle. Es ist noch nicht öffentlich bekannt. Es wäre lustig wenn wir ein Jenaisches Convivium über den Alpen erneuern könnten. Tausendmal Adieu.

W. d. 3. Jan. 96.

G.


Meinen ersten an Hirt adressirten Brief werden Sie erhalten haben.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1795. An Johann Heinrich Meyer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9679-8