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An Carl Friedrich Zelter
Weimar den 20. April 1808.
Hier, mein Bester, kommen die Gesänge. Werfen Sie einen Blick darauf. Vielleicht machen Sie einige Bemerkungen mit rother Tinte und sagen im allgemeinen was Sie von der Anlage des jungen Mannes [47] denken; und besonders auch belehren Sie mich, wie weit er es in dieser schweren Kunst gebracht zu haben scheint. Ich schicke ihn vielleicht auf Michaelis, weil er wohl künftiges Winter der Anführer meines kleinen Hausgesanges werden möchte. Da es mein Geschick nicht war an der reichen Tafel einer großen Stadt bequemlich mitzuschwelgen, so muß ich im Kleinen bauen und pflanzen, hervorbringen und geschehen lassen was dem Tag und Umständen nach möglich ist.
Sagen Sie mir doch auch, wenn Sie Zeit haben, ein Wort über alte constantinopolitanische Kirchenmusik, die sich mit der griechischen Kirche im Osten ausgebreitet und die sarmatischen Völker gestimmt zu haben scheint.
Woher kommt wohl die so allgemeine Tendenz nach den Molltönen, die man sogar bis in die Polonaise spürt?
Dieses Osterfest gingen eben acht Kirchensänger hindurch von Petersburg nach Paris zur Capelle des russischen Gesandten. Sie sangen in der hiesigen griechischen Capelle die beyden Festtage, an welchen sie, wie mir die Hoheit sagte, nur noch allein ganz ächte alte Musikstücke aufführen. Das ähnlichste was ich davon gehört habe ist der Canto fermo der Italiäner und die Art wie die Passion in der Päpstlichen Capelle vorgetragen wird, nemlich der wirkliche Text der Evangelisten.
Noch immer habe ich nichts von meinen Druckschriften [48] zu schicken. Den ersten Bogen von Faust lege ich bey; weiter ist mir noch nichts davon zugekommen. Lassen Sie ihn, ich bitte, niemand sehen und schicken mir ihn mit den Noten zurück; denn sonst wird mir ein Exemplar defect. Leben Sie recht wohl, verzeihen Sie, und schreibe mir bald.
G.