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An Carl Ernst Schulbarth

Die Nachricht, daß Sie, mein Theuerster, wirklich angestellt und für Ihre künftige Lebenszeit beruhigt[234] sind, war mir sehr angenehm, und ich hab es für meine Schuldigkeit Excellenz auch in meinem Namen deshalb zu danken.

Was ich Sie nun inständig: beobachten Sie ja recht genau was für eine Höhe von Bildung Ihr Kreis eigentlich bedarf und verlangt. Alles Voreilige schadet, die Mittelstufen zu überspringen ist nicht heilsam, und doch ist jetzt alles voreilig und fast jedermann sprungweise zu verfahren geneigt. Indessen ist es zwar schwer, aber doch nicht unmöglich, den Menschen auf den eigentlichen Punct, wo er praktisch wirken kann und soll, zurückzuführen; ich kenne jetzt keine andere Pädagogik. Sie sind von einer trefflichen Masse thätiger Menschen umgeben und es wird Ihnen leicht seyn, jeden auf den Sie Einfluß haben an seinen Tag, an seine Hand anzuweisen, damit er leiste was er vermag. Hierin liegt das wahre Verdienst um die Menschheit, das wir alle zu erwerben suchen sollen, ohne uns um den Wirrwarr zu bekümmernder fern oder nah die Stunde auf die unseligste Weise verdirbt.

Mein Faust ist abgeschlossen; erscheint er dereinst, so werden Sie selbst beurtheilen, inwiefern Sie sich meiner Gesinnung und Behandlungsweise genähert oder inwiefern Sie sich davon fern gehalten haben.

Über die Tragödie kann ich keine Meynung äußern. Wähernd der vielen Jahre in denen ich einem bedeutend [235] Theatervorstand hab ich die Stücke niemals anders als in Bezug auf die Bühne und ganz eigentlich meine Bühne betrachtet. Und so könnt ich auch jetzt ein Stück in keiner andern Rücksicht beurtheilen, wenn ich anders meine Gedanken in ein Feld zurückwenden dürfte, auf dem ich längst für immer Abschied genommen.

Auch bedenkt man nicht was für Momente bey Beurtheilung einer Tragödie zu beachten sind. Ein solches Stück kann psychologische und pathologische Verdienste haben, sogar dramatisch zu schätzen seyn, und es ist doch noch nicht theatralisch. Alles dieses, wenn ich nicht irre, wäre bey dem gegenwärtigen Trauerspiel zu bedenken. Eine wahrhaft belehrende Entwicklung würde an Volumen vielleicht das Stück selbst übertreffen; weiter an Volumen vielleicht das Stück selbst übertreffen; weiter darf ich mich nicht einlassen.

Möge Ihnen alles gelingen, welches Sie nach Erkenntniß Ihres Kreises mit gutem Willen und ruhiger That unternehmen und wirken. Auch sollte es mir angenehm seyn, wenn Sie, so lange wir diesen irdischen Boden gemeinsam betreten, mir von Zeit zu Zeit Nachricht von sich und was Sie zunächst berührt mittheilen wollten. Wie ich denn auch wünsche daß Sie mir das Gymnasium wobey Sie angestellt und dessen Verfassung näher bezeichnen möchten.

Unwandelbar theilnehmend

Weimar den 14. Februar 1832.

J. W. v. Goethe. [236]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1832. An Carl Ernst Schulbarth. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-96E5-5