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An Carl Friedrich Zelter

Dein munteres Weibchen, Tochter und italiänischer Begleiter sind endlich angekommen und freundlich empfangen worden. Den ersten Tag gaben meine Kinder ihr ein geselliges Gastmahl, dem Frau Gräfin Henckel, von Frorieps zu vieren und sonst gute Leute beywohnten und wo es, wie ich höre, ganz munter zugegangen ist. Den folgenden Morgen hatte ich mich auf ein sentimental-joviales Frühstück im Garten eingerichtet, welches durch das gräßliche Wetter ge- und zerstört wurde. Ich fuhr deshalb hinein und fand sie und mehrere Personen bey meinen Kindern, wo man denn freylich im Cirkel saß und nicht warm wurde. Ich fuhr gleich wieder hinaus und mußte ihr [53] also gleich zum Willkommen ein Lebewohl sagen. Mein Enkel Wolf hat der Tochter die Cour gemacht und von ihr einen Goldrudel zum Geschenk bekommen. Du siehst wie eilig die Generation einander die Pantoffeln austreten.

Zu gleicher Zeit war ein Engländer bey uns, der zu Anfang des Jahrhunderts in Jena studirt hatte und seit der Zeit der deutschen Literatur gefolgt war, auf eine Weise von der man sich gar keinen Begriff machen konnte. Er war so recht in merita causae unsrer Zustände initiirt, daß ich ihm, wenn ich auch gewollt hätte, und wie man wohl gegen Fremde zu thun pflegt, keinen blauen phraseologischen Dunst vor die Augen bringen durfte. Aus seiner Unterhaltung ging hervor, daß, seit diesen 20 Jahren und drüber, sehr gebildete Engländer nach Deutschland gekommen sind und sich von den Persönlichkeiten, ästhetischen und moralischen Verhältnissen unserer, jetzt Vorfahren zu nennenden Männer genau unterrichteten. Von Klopstocks Verknöcherung erzählte er wundersame Dinge.

Sodann zeigte er sich als einen Missionair der englischen Literatur, las mir und meiner Tochter zusammen und einzeln Gedichte vor. Byrons Himmel undErde war mir höchst angenehm mit Auge und Ohr zu vernehmen, da ich ein zweytes Exemplar in der Hand hatte. Zuletzt machte er mich noch auf Miltons Samson aufmerksam und las ihn mit mir. [54] Es ist merkwürdig hier den Ahnherrn Byrons kennen zu lernen; er ist so grandios und umsichtig wie der Genannte, aber freylich geht der Enkel schon in's Gränzenlose, in's wunderlichst Mannichfaltige, wo jener einfach und stattlich erscheint.

Nun eben läßt sich unser polnische Dichter melden; einige Tage früher wär' er zu jener Gesellschaft willkommen gewesen; jetzt muß ich ihn wieder einzeln honoriren und das wird denn zuletzt sehr schwer, bey nahe unmöglich.

Meinen zweyten Aufenthalt in Rom, dem ich den 29. Band widme, habe ich möglichst ausgestattet, und ich hätte das Doppelte thun können ohne das unaufhörliche Hin- und Herzerren, von guten lieben Fremden, die nichts bringen und nichts holen.

Laß dich aber durch diese Jeremiade nicht abhalten manchmal jemanden ein Brieflein mitzugeben denn aus dem Mißbehagen eines Augenblicks steigt denn doch oft eine hübsche Betrachtung hervor. So war es wirklich höchst merkwürdig auf den scheidenden Engländer den ankommenden Polen zu beschauen und zu beobachten; ich habe nicht leicht einen größern Contrast gesehen.

Sollt ich noch auf einige Puncte deiner früheren, oft retardirten Briefe etwas zu erwidern haben, so erinnere dieß freundlich; sie sind mir nicht bey der Hand und ich möchte nicht gern etwas zurücklassen.

[55] Insofern dir nun auch zunächst Thun und Leiden, Wirken und Genießen, Anstrengung und Zerstreuung und wie das alles heißen mag was dich, als Zelter und Berliner, hält und zieht, einigt und sondert pp. es einigermaßen zuläßt, so fahre fort zu schreiben, und bedenke daß ich Euch Band- und Alphabetweise, von meinem Besten, zuschicke, wogegen Ihr Euch denn doch wie der Leviathan verhaltet, von dem geschrieben steht: er verschlingt den Strom und achtet nicht sein!

Am trüben und heitern Tag

treu angehörig

Weimar den 20. August 1829.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1829. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-96F0-B