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An Carl Friedrich Zelter

Wenn es gleich höchst löblich und erfreulich ist, daß alte Freunde sich wieder begegnen und auf's neue vereinigen, so scheinen sie doch gleich wieder unter Einfluß und Gesetzen des Tags zu stehen, so daß sie gleichfalls der Nichtigkeit vorüberfliehender Stunden ausgesetzt sind. Diese Betrachtungen macht ich nach deiner Abfahrt, einigermaßen verdrießlich, im Bemerken, daß gerade das Wichtigste mitzutheilen versäumt worden. Die Reliquien Schillers solltest du verehren, ein Gedicht das ich auf ihr Wiederfinden al Calvario gesprochen, ferner eine Novelle der eigensten Art, kleiner Gedichte mancherley, drunter eine Sammlung[122] mit der Rubrik: Chinesische Jahreszeiten, und was diesem noch alles sich hätte anschließen können und sollen.

Vielleicht ist es nicht wohlgethan, daß ich dergleichen hinterdrein sage und klage; warum sollte man aber nicht auch des Versäumten gewahr werden, wenn des Gewonnenen und Genossenen so viel ist.

Erfolge dir also der beste Dank für deine liebwerthe Gegenwart, daher mir manches Gute und Liebe geworden und geblieben ist. Danke Herrn Hegel für seinen Besuch, denn ich darf nicht sagen, wie tröstlich es mir erscheint, daß mir, an meine Wohnung Gefesselten, von allen Orten und Enden her soviel Klares und Verständiges zu Theil wird; denn kaum ist mir durch genannten Freund so manche Aufklärung über die Pariser Zustände geworden, so trifft Herr Graf Reinhard ein, von Christiania in Norwegen zurückkehrend, und überliefert mir einen hellen Begriff von jenen nordischen Zuständen. Von Westen kommt mir zugleich eine Beschreibung der Insel Helgoland mit schönen Belegen unorganischer und organischer Natur, consolidirte Reste des Urlebens und noch ganz frische Beweise des Fortlebens und Wirkens des ewigen Weltgeistes. Und so ward mir eine schöne Fortsetzung dessen, was eure Gegenwart mir so reichlich gewährt hatte.

Und so bleibe Gegenwärtiges nicht länger zurück. Vermelde mir bald etwas von deinen Zuständen, [123] auch kläre mich auf über das Unglück was Rauchs betroffen hat; ich habe mir darüber als Welt- und Menschenkenner einige Hypothesen gemacht und bin neugierig, wie nah ich das Ziel berührt habe.

Eilig und treulich

Weimar den 24. October 1827.

Goethe.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1827. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9701-E