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An Charlotte von Stein

Aus meiner tiefen Einsamkeit und Stille muß ich doch auch melden, wie es mir geht, besonders da ich etwas interessantes zu überschicken habe. Beykommende Schrift werden Sie mit Vergnügen lesen. Sie ist voller Verstand, Einsicht in die Sache und Kühnheit. Der Verfasser greift die Überwinder des Continents auf ihrer empfindlichsten Seite und in ihrer eignen Manier sehr lebhaft an. Seine Landsleute sind lange schon überzeugt, daß er Recht hat, und es verdient alle Aufmerksamkeit, wie die Franzosen es aufnehmen werden, und was diesen Gründen entgegenzusetzen haben.

Meine Arbeiten gehen ganz sachte fort. An Einigem was ich vorbereite, werden auch Sie, verehrte Freundin, Theil nehmen können. Anders wird auf Hoffnung hin geschrieben und gedruckt. Die Gegenwart stimmt selten und gedruckt. Die Gegenwart stimmt selten zum Gegenwärtigen. Was neben einander existirt, scheint nur zum Streite berufen zu seyn. Für einen Autor ist es daher eine tröstliche Aussicht, daß alle tage neue künftige Leser geboren werden.

Haben Sie doch die Güte mir zu sagen, wie es mit der Hand Durchlaucht der Herzogin geht.

Der Anblick derselben hat mich beunruhigt und aus den Ärzten ist nichts zu bringen. Man weiß niemals, ob sie etwas geheim halten, oder ob sie selbst nicht[461] wissen woran sie sind. Ich bitte mich Durchlaucht vielmals zu empfehlen und die Schlegelsche Schrift mitzutheilen.

So ruhig es mir hier nach meinen Zwecken und wünschen geht, so wünschte ich mich doch manchmal nach Weimar zu versetzen. Besonders sind die Abende hier unendlich lang.

Hofrath Meyer wird Durchlaucht der Prinzeß eine Landschaft übergehen, um eine Copie davon für Ihre Frau Mutter zu machen; es ist wohl eine der interessantesten, die man sehen kann.

Die Arbeit an dem Grabmal geht ununterbrochen fort. Ich hoffe, es soll bald und gut zu Stande kommen.

Mögen Sie wohl beyliegendes an Frau Gräfin von Henckel gelangen lassen und mich empfehlen und entschuldigen.

Behalten Sie mich in einem freundlichen Andenken, bis ich wieder mit meinen Zauberkreisen angezogen komme.

Jena den 19. November 1807.

G. [462]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1807. An Charlotte von Stein. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9721-6