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An Carl Friedrich Zelter

Wegen der fehlenden Briefe habe vorläufig Folgendes zu vermelden: In meiner Abschrift sind die Briefe nicht nummerirt worden, allein bey näherer Untersuchung ist die Copie vollständig. In deinen Originalbriefen hingegen, wie ich sie verwahre, ist eine gleiche Lücke. Dein letzter Brief der sich vorfindet ist vom 14. Juni und meldet die Frau v. Zschock an; der nächste ist vom 5. September und spricht von dem Begassischen Porträt. Solches ist folgendermaßen zu erklären: Der Abschreibende hat die Originale, wie er fertig wurde, lagenweis wieder abgeliefert, eine von diesen Lagen muß sich verschoben haben, wie es in den mannichfaltigen Verhältnissen bey der besten Ordnung wohl einmal geschieht. Sie finden sich aber gewiß wieder und dein Antheil soll alsobald erfolgen. Auf jeden Fall sind die Abschriften da und könnte die Lücke auf jede Weise ergänzt werden.

Für die nächste Zeit bitt ich dich mit mir Geduld zu haben; das durch mancherlei widerliche Umstände verspätete Heft von Kunst und Alterthum bringt euch dagegen auch das Mannichfaltigste, wovon euch die Spikerische Zeitung schon den Vorklang gegeben hat.

Die dritte Sendung meiner Werke empfehl ich dir und den Freunden, insofern sie etwas Neues bringt. An der vierten wird gedruckt. Die erste Lieferung in[100] Octav tritt gleichfalls hervor und nimmt sich besonders in Velin sehr gut aus. Dir wird ein Exemplar zurückgelegt, das aber nicht eher als nach angeschlossenem Ganzen erfolgen soll.

Sodann bemerke, daß die von mir angerufene Weltliteratur auf mich, wie auf den Zauberlehrling, zum Ersäufen zuströmt; Schottland und Frankreich ergießen sich fast tagtäglich, in Mailand geben sie ein höchst bedeutendes Tagesblatt heraus, L'Eco betitelt; es ist in jedem Sinne vorzüglich, in der bekannten Art unsrer Morgenblätter, aber geistreich weitumgreifend. Mache die Berliner aufmerksam darauf, sie können ihre täglichen Schüsseln gar löblich damit würzen.

In Gefolg dieses habe zu vermelden, daß mir nun bekannt geworden, wie man Helena in Edinburg, Paris und Moskau begrüßte. Es ist sehr belehrend, drey verschiedene Denkweisen hiebey kennen zu lernen: der Schotte sucht das Werk zu durchdringen, der Franzose es zu verstehen, der Russe sich es zuzueignen. Vielleicht fände sich bey deutschen Lesern alles drey.

Noch eins: Habe ja die Gefälligkeit, Herrn Tieck sogleich wissen zu lassen, daß der Abguß des Antinous von Mondragone anheute zu meiner großen Erin nerungs-Erbauung glücklich angekommen. Ich hatte in Erwartung desselben, um Tag und Stunde noch mehr zu belasten, das Mährchen meines zweyten Aufenthalts in Rom zu dictiren angefangen.

[101] Lebe wohl und gedenke deines Freundes im stillen Parke bey Weimar, [der,] indessen du in Prachtherrlichkeit, Trommelrausch und Getümmelwoge der Königstadt dich umtreibst und umgetrieben wirst, sich durch Thätigkeit gegen das zu Thuende wehrt und fast abmüdet.

Der Deinigste
W. d. 21. May 1828.
Goethe.

Anmuthige Übersetzung meiner kleinen Gedichte gab zu nachstehendem Gleichniß Anlaß, welches als Vorläufer des nächsten Heftes hier mit abgehen lasse.


Ein Gleichniß.

Jüngst pflückt ich einen Wiesenstrauß,
Trug ihn gedankenvoll nach Haus;
Da hatten von der warmen Hand
Die Kronen sich alle zur Erde gewandt.
Ich setzte sie in frisches Glas;
Und welch ein Wunder war mir das!
Die Köpfchen hoben sich empor,
Die Blätterstengel im grünen Flor;
Und allzusammen so gesund
Als stünden sie noch auf Muttergrund.
So war mir's als ich wundersam
Mein Lied in fremder Sprache vernahm.
[102]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1828. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9759-8