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An Johann Gottfried Herder

Hier lieber Bruder die Iphigenia. Ich schicke sie mit der heut abgehenden Post an Seidel und laße dießen Brief gerade an dich abgehn damit eine Art Controlle entstehe, wenn etwa das größere Packet länger aussenbliebe.

Du hast nun auch hier einmal wieder mehr was ich gewollt, als was ich gethan habe! Wenn ich nur dem Bilde, das du dir von diesem Kunstwercke machtest, näher gekommen bin. Denn ich fühlte wohl bey deinen freundschafftlichen Bemühungen um dieses Stück, daß du mehr das daran schätztest was es seyn könnte als was es war.

Möge es dir nun harmonischer entgegen kommen. Lies es zuerst als ein ganz neues, ohne Vergleichung, dann halt es mit dem alten zusammen wenn du willst. Vorzüglich bitt ich dich hier und da dem Wohlklange nachzuhelfen. Auf den Blättern die mit resp. Ohren bezeichnet sind, finden sich Verse mit Bleystift angestrichen die mir nicht gefallen und die ich doch jetzt nicht ändern kann. Ich habe mich an dem Stücke so müde gearbeitet. Du verbesserst das mit [133] einem Federzuge. Ich gebe dir volle Macht und Gewalt. Einige halbe Verse habe ich gelaßen, wo sie vielleicht gut thun, auch einige Veränderungen des Sylbenmases mit Fleiß angebracht. Nimm es nun hin und laß ihm deine unermüdliche Gutheit heilsam werden. Lies es mit der Frauen, laß es Fr. v. Stein sehen und gebt euren Segen dazu. Auch wünscht ich daß es Wieland ansähe der zuerst die schlotternde Prosa in einen gemeßnern Schritt richten wollte und mir die Unvollkommenheit des Wercks nur desto lebendiger fühlen ließ. Macht damit was ihr wollt, dann laß es abschreiben und schaff es mit dem übrigen zur rechten Zeit und Stunde an Seidel u. s. w. und verzeih der Plage. Ich bin selbst ein geplagter Fremdling, den nicht die Furien, den die Musen und Grazien und die ganze Macht der seligen Götter mit Erscheinungen überdecken.

Ich kann noch nichts sagen, denn es wird nur. Hätte ich Zeit ich wollte euch große Schätze zurückbringen. Denn ach Winckelmann! wie viel hat er gethan und wieviel hat er uns zu wünschen übrig gelaßen. Du kennst mich Hypothesen-Auflößer und Hypothesen-Macher. Er hat mit denen Materialien die er hatte geschwinde gebaut um unter Dach zu kommen. Lebte er noch; (und er könnte noch frisch und gesund seyn) so wäre er der erste der uns eine neue Ausarbeitung seines Wercks gäbe. Was hätte er nicht noch beobachtet, was berichtigt, was benutzt [134] das nach seinen Grundsätzen gethan und beobachtet, was neuerdings ausgegraben worden. Und dann wäre der Cardinal Albani todt, dem zu Liebe er manches geschrieben, und was mir noch schlimmer daucht, manches verschwiegen. Ich Wandrer raffe auf was ich kann. Wie anders sehe ich gegen die erste Zeit, was würde es in Jahren seyn. Sagen kann ich nichts; aber wollte Gott ich hätte Freunde und Lieben um mich, mit mir, daß man sich theilen vereint würcken und genießen könnte.

Die Leichtigkeit hier alles zu sehen und manches zu haben, hat nirgends ihres gleichen, ich thue die Augen auf so weit ich kann und greife das Werck von allen Seiten an.

In meiner Stube hab ich schon die schönste Jupiter Büste, eine kolossale Juno über allen Ausdruck groß und herrlich, eine andre kleiner und geringer, das Haupt des Apoll von Belvedere und in Tischbeins Studio steht auch manches dessen Werth mir aufgeht. Nun rücke ich zu den Gemmen, und alle Wege bahnen sich vor mir, weil ich in der Demuth wandle.

Einigen Deutschen dien' ich schon wieder als Cicerone, Ausleger und Deuter und mein Leben mit den Künstlern ist einzig dießem Ort angemessen. Das andre Leben ist schaal wie überall und schaaler wo möglich. Ich will zuletzt nur einige Becher schlurpfen. Lebet wohl. Grüßt die Kinder. Ich schreibe wenig. Fr. v. Stein hat noch etwas gemeines. Schreibe mir wie du mit den Ideen fortruckst.

[135] Lebe wohl. Ich bin heute müd und matt von Schreiben. Liebt mich, verlangt mich! daß ich mit Freuden wiederkehre. d. 13. Jan. 87. Rom.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1787. An Johann Gottfried Herder. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9781-C