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An Josephine O'Donell

Teplitz d. 1. Juni

1813.

Wenn Sie wißen könnten, verehrte Freundinn, welch ein entsetzlicher Druck die letzte Zeit hier auf mir gelegen und was ich mir dabey für hypochondrische Noth über das Außenbleiben eines lieben Briefes gemacht; so würden Sie die Freude mit empfinden die mir durch Ihren letzten geworden ist. Ich will aber auch niemals mehr zweifeln und verzweifeln, sondern mich immer an den Sonntag Exaudi erinnern, an deßen heitrem Morgen ich meinen schönsten, heißesten Wunsch erfüllt sahe. Es ist völlig wahr wenn es auch räthselhaft und übertrieben klingt: Sie haben mich mir selbst wiedergegeben, Sie haben mir mit Töplitz, mit Böhmen ein Geschenk gemacht, [356] ich sehe nun erst die Natur wieder und fange an mich derselben wieder von vorne zu freuen.

So sey denn aber auch von nun an alles verbannt was irgend verdrieslich seyn könnte, ich will des bescheerten Guten mit reiner Freude genießen.

Wenn Sie, Beste, fragen, was ich hier beginne, so glaube ich darauf nicht besser, ja vielleicht umständlicher als nötig zu antworten, wenn ich eine Relation, die ich an unsern theuren Herzog sendete, in Abschrift überschicke. Sie ersehen daraus daß wenn Sie mich mit einem freundschaftlichen Gedancken-Besuche beglücken wollen, ich gewöhnlich in Berg-Städten und Örtern zu finden wäre.

Denn nach dem was man vorm Jahre zu erleben das Glück hatte, jetzo in Töplitz umherzuschleichen hat freylich was unschickliches. Der gute Ort sieht völlig aus wie ein Theater bey einer Vorprobe, man begreift nicht das ein solches Local jemals etwas war noch seyn wird, und damit mein Gleichniß ja recht paße, so stehen über all Dekorateurs, Tüncher und Mahler auf Gerüsten und Arbeiten rasch drauf los. Alles das kann auch recht hübsch werden was hilft es aber wenn zuletzt die Beleuchtung fehlt.

Wie sehr muß ich nun in dieser Entfernung und Abgeschiedenheit entzückt seyn über die Versicherung daß allerhöchsten Ortes mein flüchtiger Aufsatz zu Wielands Andencken huldreichst aufgenommen worden. Was kann wohl mehr ermuntern als da nicht zu [357] mißfallen wo alles zusammengetrifft um ein entscheidendes Urtheil zu sichern. Möge dieses allwirckende Licht auch mir beständig scheinen und frommen.

Unsere liebe und würdige Erbprinzeß, der ich wohl mehr als je ein erquickendes und stärkendes Zusammentreffen wünschte, habe ich nur wenige tage hier verehren können. Sie verschwand mir auf einmal und ließ mich doppelt fühlen was das heiße sich mit dem theuren Teplitz von Angesicht zu Angesicht allein zu finden.

Die Lecktüre des Wercks der Fr. v. Stahl hätte ich gerne mit Ihnen getheilt, das wenige was ich davon kenne ist höchst aufregend und es ist sehr unterrichtend das deutsche Litterarwesen einmal aus einem fremden und so haben Standpunckt anzusehen.

Mein schreibender Begleiter ist kranck, die oben versprochene Relation soll bald möglichst nachfolgen. Ich befinde mich sehr wohl und bin mit meinen Gedancken immer in Süd-Ost.

Gedencken Sie mein Dorther!

G.

Abgesendet d. 4t. Jun. 1813.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1813. An Josephine O'Donell. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9798-9