26/7319.

An Christian Gottlob Voigt

Die mir gefällig mitgetheilten Acten habe mit Aufmerksamkeit und Antheil gelesen, wovon Ew. Excellenz gewiß überzeugt sind, da ich den vorzüglichen Mann, von dem die Rede ist, von seiner ersten Ankunft an genau kenne, und ihm von der Weltseele bis zu den Kabiren getreulich gefolgt bin, auch ihm gar manches, was ich mir zueignen konnte, verdanke. Seine Persönlichkeit, Wesen, Eigenthümlichkeit, Charakter, Gesinnungen durchaus zu kennen, will ich mir nicht anmaßen, um so weniger, als ich bis auf die letzten Tage mit ihm in den besten Verhältnissen gestanden habe und stehe. Er hat mit immer die beste Seite gezeigt.

[275] Wie aber vor einiger Zeit die Rede davon war diesen bedeutenden Mann nach Jena zu versetzen, so dachte ich bey mit im Stillen darüber nach und hielt es für einen sehr bedenklichen Schritt. Gewohnt aber mich in meine engen Kreise zu schließen, äußerte ich gegen niemanden, auch nicht gegen Ew. Excellenz, wie Dieselben mir bezeugen können, das Mindeste.

Jetzt aber seh ich aus den mir geneigt mitgetheilten Papieren, wie die Angelegenheit stehe und wie weit sie gediehen sey. Ich erfahre, daß zwey entgegengesetzte Meinungen, die eine gegen, die andere für die Anstellung, obwalten, deren Gründe ich mir beyderseits deutlich zu machen suchte.

Diese Gründe, wie sie vorliegen, gegen einander abzuwägen, möchte ich mich nicht vermessen. Gewohnt an mich selbst zu denken und mich zu prüfen, fühle ich mich von den Banden höheren Alters befangen. Denn nicht allein körperliche Kühnheit will dem Alter selten geziemen, auch geistige Kühnheit steht ihm nicht wohl. Wenn der Jüngere fehlt, so verbindet er sich deshalb zu büßen und, wenn er tüchtig ist, den Fehler wieder gut zu machen; der Ältere fürchtet die Folge seines Irrthums seinen Nachfolgern zu überliefern, deren Vorwürfe er sich, als ein lang Erfahrner, schon selbst articuliren kann.

Verzeihung deshalb, wenn ich, käme mir eine Stimme zu, auf die verneinende Seite träte. Hier sind die Gründe aus der Gegenwart, dem Zustand, [276] der Erfahrung, der Beschränkung genommen, welche doch jederzeit dem Geschäftsmann höchst ehrwürdig seyn sollten, und so sind sie mir aus dem Verstande geschrieben, ebenso wie die der bejahenden Seite aus dem Herzen: denn wir alle hoffen und wünschen ja, daß es anders, besser, vorzüglicher werden solle, und warum sollten wir einen Anlaß nicht ergreifen, hiezu mitzuwirken, wenn wir zu sehen glauben, daß ein Mittel dazu dargereicht werde?

Wie sehr wünscht ich jedoch, daß man in einem so wichtigen Falle sorglich in Bedacht nähme, daß eineIdee, die wir zu realisiren gedenken, sogleich empirisch wird, daß die Akademie Jena etwas Wirkliches und der Mann den wir berufen auch ein wirklicher ist. Wer darf sagen: ich kenne ihn auf den Grad, daß ihn mit Zuverlässigkeit zu dieser hohen Stelle wählen darf; denn wie die Sache steht, so ist er ganz entschieden der Herr der Universität Jena durch die große Begünstigung an Stelle, Rang, Besoldung, Pension, Einfluß in zwey Facultäten, ja in alle. Er erhält das Recht, das große Vertrauen, das man in ihn setzt, fernerhin zu fordern, und dieses um so dringender, als man ihn aus einem Zustande herausruft, der, nach meiner Einsicht, der einzige ist, in welchem er gedeihen kann, und aus dem er nicht herausgehen sollte, wenn er sich selbst und die Welt mehr kennte.

Hätte er mich, als alter Freund, in diesem Falle gefragt, ich würde geantwortet haben: hast du von [277] unserm alten Herrn und Meister Benedict Spinoza nicht soviel gelernt, daß wir unseres Gleichen blos in Stillen gedeihen? Hätte der Kurfürst von der Platz diesem klugen Juden auch völlige Lehrfreiheit in Heidelberg zugesagt, so hätte der Verfasser des Tractatus theologico-politicus geantwortet: Ew. Durchlaucht, das können Sie nicht, denn Lehrfreiheit gegen das Bestehende kann nur dazu führen, daß ich entweder ihren sanctionirten Zustand umwerfe, oder daß ich daraus mit Schimpf und Schande vertrieben werde.

Zöge man Benedicten bey uns zu Rath und legte ihm die Arten vor, so würde er uns das Beyspiel vonFichten anführen, den wir mit ähnlicher Kühnheit, als jetzt obwaltet, eingesetzt, doch zuletzt nicht halten konnten.

Wenn ich auch ohne mein redliches Votum durch besondere Gründe zu motiviren, mich auf die verneinende Seite, blos als stimmgebend, insofern es mir zukäme, gewissenhaft zu werden fortfahre, so sey es mir erlaubt zu sagen, daß diese Kühnheit, wenn man es so nennen will, auf einer vierzigjährigen Praxis ruht und auf einer bis auf die letzten Zeiten fortgesetzten Beobachtung literarisch-moralisch-politischer Zustände. Wollte man die Akademie Jena wahrhaft neu fundiren, so müßte es nicht auf die früher von uns schon einmal versuchte Weise geschehen, sie auf revolutionäre Wege zu stoßen, sondern sie auf die reine Höhe der Kunst und Wissenschaft, auf welche gewiß[278] Europa jetzt gelangt ist, zu stellen, zu erhalten und zu sanctioniren.

Um aber zu dem Gesagten mich noch einigermaßen näher zu legitimiren, bemerke ich nur Folgendes (denn gar manches, was mir bekannt ist, gehört nicht zu den Acten und sind Geheimnisse, die der Einzelne wohl zu verwahren hat, zu eigenem Gebrauch und Berathung).

Also nur einige Fragen: Weiß man denn ob er katholisch ist? Wäre er es und erkläre er es nach eingegangener Verständigung seiner Annahme, könnte man zurücktreten und könnte man einem katholisirenden Philosophen über Religion zu dogmatisiren erlauben? Hätte er seine Stelle angetreten, selbst jetzt noch Protestant und er ging zur katholischen Consession über, was könnte man dann thun, und wenn er, wie alsdann vorauszusehen wäre, Profelyten machte, würde man ihn, wie Kaiser Alexander die Jesuiten, in einer Nacht vertreiben können?

Das alles halte ich vor meine Schuldigkeit auszusprechen, da unter den Vorwürfen, die ich mir mache, die heißesten sind, daß ich zur rechten Zeit nicht ausgesprochen, was ich wußte, und was für Unheil ich voraussah. Nicht alles Übel erfolgt, was man oft hypochondrisch vorzusehen glaubt; ich kenne aber noch ein hübsches Nest von Unheil, das bey dieser Gelegenheit flick werden wird.

Es fällt mir unmöglich, bey so prägnanten Fällen, die nur einzeln zu mir gelangen, das gehörige Maaß[279] zu treffen; mögen Ew. Excellenz von Vorstehendem einsichtigen Gebrauch machen, ohne vielleicht die Blätter mitzutheilen. Sie werden mir gewiß persönlich verzeihen, wenn es mir komisch vorkommt, wenn wir zur dritten Säcularfeyer unseres protestantisch wahrhaft großen Gewinnes das alte überwundene Zeug nun wieder unter einer erneuten mystisch-pantheistischen, abstrus-philosophischen, obgleich im Stillen keineswegs zu verachtenden Form wieder eingeführt sehen sollten.

Weimar den 27. Febr. 1816.

G.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1816. An Christian Gottlob Voigt. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-97F7-6