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An Friedrich Wilhelm Riemer

Jena d. 2. May 1816.

Ihr liederreiches Heft, mein Werthester, hat mir und Meyern recht angenehme Stunden verschafft. Diese Gedichte haben das Eigne, daß sie den Umstand unter welchem sie hervorgebracht worden genugsam enthüllen, ohne ihn zu verrathen. Ich hatte wohl den Schlüssel zu den meisten, aber auch bey Personen die ihn suchen müssen bringen sie gute Wirkung hervor. Ich habe es an Knebeln gesehen der für solche zarte Dinge das eigenste Gefühl hat.

[20] Diese vierzehn Tage her führte ich freylich ein beweglicher und geselliger Leben als die letzten Monate; auch sind mir schöne Aufschlüsse geworden über die Elemente der natürlichen Dinge, die jetzt mit mehr Reinheit als sonst in die Erfahrung hervortreten und sich in Zusammensetzung darthun.

Daß ich Döbereiner und somit der Chemie in Jena für ewig eine Burg erbauen kann, giebt mir eine behagliche Thätigkeit. Alle übrige Anstalten die Sie kennen sind in bester Zucht und Ordnung; alle lebendig wenn gleich nicht alle auf gleiche Weise sprossend und wachsend.

Da ich keine Bücher bey mir habe, so nahm ich aus der Büttnerschen Bibliothek nur was mir Noth that und habe mich in den Thomas Hyde zum erstenmal recht hineingelesen. Auch von der Insel Ceylon, die uns nunmehr immer interessanter werden muß, habe durch R. Knox eine hinlängliche Anschauung gewonnen und so versire ich, wie Sie sehen, immer im Orient. Brächte man nicht aber soviel Form mit sich, so wäre man verloren. Die eilf Bände Asiatic Researches sind ein Abgrund in den man sich nicht ungestraft hineinstürzt.

Verbleiben Sie in den griechischen Regionen, man hat's nirgends besser; diese Nation hat verstanden aus tausend Rosen ein Fläschchen Rosenöl auszuziehen.

Da indessen der Lebendige Recht hat, so werden nächstens hier die teutschen Turnübungen losgehen[21] und das Gespräch fängt schon an ein Pfänderspiel zu werden, wo man dem Redenden aufpaßt ob er ein Colonialwort vorbringt. Leider ist man nicht jung genug um bey dieser Gelegenheit nach einem süßen Kusse zu schnappen.

Dem Frauchen meine besten Grüße. Ich werde es ihr von Herzen danken wenn sie meinigen in diesen Momenten beysteht.

Baldiges Wiedersehn

Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1816. An Friedrich Wilhelm Riemer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9802-4