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An Johann Friedrich Reichardt

Wundern Sie Sich nicht, wenn ich den Schröderischen Brief nicht gar so toll finde wie Sie ihn finden. Ich wußte voraus daß er so antworten würde, da ich seine Verhältniße kenne. Ein deutscher Direcktor wäre thörigt anders zu dencken. Von Kunst hat unser Publicum keinen Begriff und so lang solche Stücke allgemeinen Beyfall finden, welche von mittelmäßigen Menschen ganz artig und leidlich gegeben werden können, warum soll ein Direcktor nicht auch eine sittliche Truppe wünschen, da er bey seinen Leuten nicht auf vorzügliches Talent zu sehen braucht, welches sonst allein den Mangel aller übrigen Eigenschaften entschuldigt.

Die Deutschen sind im Durchschnitt rechtliche, biedere Menschen aber von Originalität, Erfindung, Charackter, Einheit, und Ausführung eines Kunstwercks sie nicht den mindesten Begriff. Das [180] heißt mit Einem Worte sie haben keinen Geschmack. Versteht sich auch im Durchschnitt. Den rohren Theil hat man durch Abwechslung und Übertreiben, den gebildetern durch eine Art Honettetät zum Besten. Ritter, Räuber, Wohlthätige, Danckbare, ein redlicher biederer Tiers Etat, ein infamer Adel pp. und durchaus eine wohlsoutenirte Mittelmäßigkeit, aus der man nur allenfalls abwärts ins Platte, aufwärts in den Unsinn einige Schritte wagt, das sind nun schon zehen Jahre die Ingredienzen und der Charackter unsrer Romane und Schauspiele. Was ich unter diesen Aspeckten von Ihrem Theater hoffe, es mag dirigiren wer will, können Sie dencken.

Machen Sie es indeß immer zum besten. Ihre Bearbeitung von Elmiren freut mich sehr und wünschte Sie hier bey mir schon am Claviere zu sehen. Nur verziehen Sie noch. Ich gehe wahrscheinlich der Herzoginn Mutter entgegen, ist diese zurück, dann wird es in mehr als Einem Sinne das rechte Tempo seyn hierher zu kommen.

Tasso haben Sie vielleicht schon. Faust kommt Ostern und wird auch Ihnen manches zu thun geben.

Leben Sie recht wohl und schreiben bald wieder und grüßen Moriz.

W. d. 28. Febr. 90.

G. [181]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1790. An Johann Friedrich Reichardt. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9803-2