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An Charlotte von Stein

d. 2. November. Genv. 79. Auch hier sind wir länger geblieben als wir dachten, und müssen doch noch leider interessante Personen und Sachen, ungekannt und ungesehn zurücklassen. Die Stadt selbst macht mir einen fatalen Eindruck. Die Gegend ist mit Landhäusern besäet, und offen, freundlich, und lebendig. Der Herzog hat sich von einem Juel mahlen lassen, wir haben Bonnet, Diodati, Mr. de Chateauvieux, Hubern gesehen und fahren noch heute zu Saussuren. Waren in Furney. Mad. Van der Borch eine Bekanntschafft aus Pyrmont hat sich nach Ihnen erkundigt. Nun haben wir einen wichtigen Weeg vor uns wo wir das Geleit des Glückes nötiger haben als iemals. Morgen solls nach den Savoyer Eisgebürgen und von da durch ins Wallis. Wenn es dort schon so aussähe wie man es uns hier mahlt so wärs ein Stieg in die Hölle. Man kennt aber schon die Poesie der Leute auf den Sophas und in den Cabriolets. Etwas zu leiden sind wir bereit, und wenn es möglich ist im Dezember auf den Brocken zu kommen, so müssen auch Anfangs November uns diese Pforten der Schröcknisse auch noch durchlassen. Ich hoffe Schritt vor Schritt Ihnen erzählen zu können wohin wir gehn und was wir sehn. Beschrieben ists zwar schon besser, doch unser Schicksaal nicht. Adieu [117] liebste. Vor 14 Tagen kan ich nichts an Sie auf die Post geben, also hören Sie vor 4 Wochen von heut an nichts von mir. Adieu Grüsen Sie Steinen und alles, ich dencke Sie sind in der Stadt.

Mich hat Genv ganz in mich hineingestimmt um alles blieb ich nicht noch 8 Tage in dem Loche.

Dass man bey den Franzosen auch von meinem Werther bezaubert ist hätt ich mir nicht vermuthet, man macht mir viel Complimente, und ich versichre dagegen dass es mir unerwartet ist, man fragt mich ob ich nicht mehr dergleichen schriebe, und ich sage: Gott möge mich behüten, dass ich nicht ie wieder in den Fall komme, einen zu schreiben und schreiben zu können. Indess giebt mir dieses Echo aus der Ferne doch einiges Intresse mehr an meinen Sachen, vielleicht bin ich künftig fleisiger und verpasse nicht wie bisher die guten Stunden. Ade.


Abends gegen 10.

Auch hab ich mich heute bei schönem Wetter in der Rhone gebadet wozu man ein gar artig Häusgen hat da das grüne Wasser unten durchfliesst. Und weil es denn überall Frau Basen giebt, die vom Müssiggange mit dem Rechte beliehen sind sich um andrer Leute Sachen zu bekümmern, so wollte man hier den Herzog von der Reise in die Savoyischen Eisgebürge die er sich selbst imaginirt hat und von der er sich viel Vergnügen verspricht mit den ernsthaftesten [118] Protestationen abhalten. Man wollte eine Staats und Gewissenssache daraus machen, dass wir glaubten am besten zu thun, wenn wir uns erst des Raths eines erfahrenen Mannes versicherten. Wir kompromittirten daher auf den Professor de Saussure und nahmen uns vor nichts zu thun oder zu lassen als was dieser zu oder abrathen würde. Es fuhr iemand von der Gegenparthei mit zu ihm hinaus und auf ein simples exposé entschied er zu unserm grossen Vergnügen, dass wir ohne die geringste Fahr noch Sorge den Weeg in dieser so gut als in einer frühern Jahrszeit machen könnten. Er zeigte uns an was in den kurzen Tagen zu sehen würde möglich seyn, wie wir gehen und was für Vorsorge wir gebrauchen sollten. Er spricht nicht anders von diesem Gange als wie wir einem Fremden vom Buffarthischen Schloss oder vom Etterischen Steinbruche erzählen werden. Und das sind dünckt mich die Leute die man fragen muss, wenn man in der Welt fort kommen will.

Sehr ungern nehm ich Abschied.

adieu.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1779. An Charlotte von Stein. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9814-B