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An Johann Jacob von Willemer

Der Unglaube der bey unserm langen Schweigen, verehrter Freund, in Ihrem Gemüth aufstieg, ist sehr verzeihlich; vernehmen Sie aber, daß mein Sohn, schmerzlich getroffen von Ihrem Verlust, zu antworten nicht getraute, mir vielmehr bey meiner Rückkunft den Brief einhändigte und mir diese traurige Pflicht überließ, die ich nicht eher erfüllen wollte bis ich Etwas vollständig mitschicken könnte, was Ihnen und unserer geliebten Marianne zur Freude gereichen möchte.

[2] Hierbey also ein Fragment, an dem Sie gewiß abnehmen, daß ich, schon seit geraumer Zeit, um die Mühle und um das rothe Männchen her beschäftigt bin. Mögen diese Blätter Ihnen, wenn auch nur für Augenblicke, jene schönen Tage zurückrufen, die mir unvergeßlich bleiben; möge die Freundin, den vorüberfließenden, ewigen Fluß betrachtend, auch der beharrlichen Bächlein gedenken, die schweigsam, ohne Rauschen sich immer um sie herschlängeln. Diese beiden Bogen bitte niemand mitzutheilen, denn es dauert leider noch eine Weile bis ich das Ganze senden kann.

Ferner wäre mein Schweigen zu entschuldigen durch den unendlichen Zudrang der ersten Wochen meines Hierseyns, wo gar manches Versäumte nachzuholen war. Gegenwärtig aber setzte die Erwartung so hoher Fremden alles in Bewegung was nur von neuen Kräften sich entwickelt und von alten übrig ist um mancherley Feste zu verherrlichen.

Die Herzogin von Cumberland erinnerte sich dieser Tage mit Vergnügen jenes Nachtbesuchs, und ich ward sogleich an Ort und Stelle versetzt wo uns allen so wohl war. Möge der Nachklang davon Ihnen tröstlich seyn, wie er mir erquicklich ist! Davon denn das Büchlein selbst, nach dem Vorschmack der wenigen Bogen, ein treuliches Zeugniß ablegen soll.

Das herrliche Geschenk das Sie meiner Schwiegertochter verehrten, kam den 31. October, als an ihrem Geburtstage, erst recht zur Evidenz. Man verehrte [3] ihr ein vielfächeriges Prunkgestelle, worauf sämmtliche Gefäße die den Theetisch zieren Platz nehmen sollten, und hier glänzt nun dieser Weihkessel als das oberste. Möge auch hievon einige Zufriedenheit auf das oberste. Möge auch hievon einige Zufriedenheit auf Sie zurückstrahlen!

Frau Städel soll mir gleichfalls zum allerschönsten gegrüßt seyn, ihrer gedenk ich oft; denn mein munterer Hausgeist ist gleichfalls eine thätige Vereinerin, die nicht unterläßt alles was der Anstalt förderlich seyn könnte aufzuregen und beyzutreiben. Sie würden beyde zusammen sich gewiß wohl vertragen. Das liebe Scharffische uns allen gegrüßte Paar wird von dieser netten Individualität einige Nachricht hinterbracht haben. Erinnerung wieder anregt, hundert Verhältnisse des Zusammenlebens auch in der Ferne.

Herr und Frau von Savigny waren diese Tage hier und nöthigten mich in die Rhein-, Mayn- und Neckargegenden; überhaupt vergeht keine Woche daß nicht Fremde von dort her vorüber gehen, die das Verlangen stets beleben, auch wieder einmal persönlich, an Ort und Stelle den Freunden tröstlich seyn zu können.

Der beygelegte Brief ist an seine bedenkliche Addresse sogleich abgegeben worden. In diesen Tagen hatte ich die Freude, meinen alten trefflichen Freund Zelter bey mir zu sehen. Da denn seine Compositionen, die Ihnen nicht unbekannt sind, viel Unterhaltung gaben; [4] zugleich aber den Wunsch erregten den Vortrag derselben durch gewisse liebenswürdige Stimmen zu vernehmen. Und hiemit sey geschlossen. Wenn Freunde und Freundinnen mir von Zeit zu Zeit ein Wort sagen so wird es mir eine erfreuliche Winterlust seyn, auch manchmal ein Lebenszeichen von hier ausmerken zu lassen.

und so fort und für ewig

Weimar den 4. November

Goethe.

1818.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1818. An Johann Jacob von Willemer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9850-1