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An Sulpiz Boisserée

Dießmal hab ich, mein Werthester, die in Weimar sehr gesteigerte Feyer meines Geburtstags für meine Person in die Gebirge des Thüringen Waldes verlegt und, Ihrem lieben Briefe gemäß, Sie in Gedanken zwischen höheren und bedeutenden Felsen aufgesucht. Ihr freundliches Blatt ward mir dahin nachgesendet und nun will ich denn die anfrage, womit es sich schließt, vor allem etwas umständlicher beantworten.

[63] Es ist mir nämlich gelungen, den zweyten Theil des Faust in sich selbst abzuschließen. Ich wußte schon lange her was, ja sogar wie ich's wollte, und trug es, als ein inneres Mährchen, seit so vielen Jahren mit mir herum, führte aber nur die einzelnen Stellen aus, die mich von Zeit zu Zeit näher anmutheten.

Nun sollte und konnte dieser zweyte Theil nicht so fragmentarisch seyn als der erste. Der Verstand hat mehr Rechte daran; wie Sie ja auch schon an dem davon gedruckten Anfang ersehen haben. Nun bedurft es zuletzt einen recht kräftigen Entschluß, das Ganze zusammenzuarbeiten, daß es vor einem gebildeten Geiste bestehen könne. Da steht es nun, wie es auch gerathen sey. Und, wenn es noch Probleme genug enthält, keineswegs jede Aufklärung darbietet, so wird es doch denjenigen erfreuen, der sich auf Miene, Wink und leise Hindeutung versteht. Er wird sogar mehr finden als ich geben konnte.

Und so wird denn das Manuscript endlich eingesiegelt, daß es verborgen bleibe und dereinst, wenn's glückt, die specifische Schwere der folgenden Bände meiner werke vermehren möge. Alles was hiezu gehört wird, sorgfältig redigirt und rein geschrieben, in einem aparten Kistchen verwahrt.

Verzeichen Sie, wenn diese vielen Worte doch am Ende nichts Befriedigendes aussprechen. Möge das Ganze zu guter Stunde künftig zu Gesicht kommen.

[64] Von den übrigen Puncten Ihres lieben Schreibens schweig ich dießmal. Die Metamorphose, mit Übersetzung und Zugaben, hätte sogleich überschicken sollten; wer denkt denn aber, daß es in der unmittelbaren Nähe des Verlegers daran fehlen sollte. In einer gewissen Folgezeit hält man es für zu spät.

Ihr Urtheil über Notre Dame de Paris unterschrieb ich Sylbe für Sylbe. Die Chemiker belehren uns von drey Gährungen oder vielmehr von drey Stationen derselben: Wein, Essig, und Fäulniß; in dieser letzten versiren gegenwärtig behagliche Talente der Franzosen. Wie sie wieder zur natürlichen Beere und kräftiger Mostgährung gelangen sollten, weiß ich nicht. Nur gut, wenn ihre Weine nicht auch unter dieser traurigen ästhetischen Epoche zu leiden anfangen.

Auch habe zu vermelden, daß das Chaos von meinem Geburtstage an sich wieder zu entwickeln anfangen hat; ich habe Sie dringend um einen Beytrag zu bitten. Sollte Ihnen denn bey Ihren gebirgseeischen Wanderungen und Sitten sich nicht irgend etwas auf Menschen und Sitten sich Beziehendes vorgekommen seyn? da Sie so treu zu beobachten und so rein wieder darzustellen wissen.

Schreiben Sie mir nur öfter; durch den Augenblick wird man angeregt zu erwidern; bis man sich zu einer bedeutenden Mittheilung zusammenfaßt, findet sich nicht leicht eine ganz abgesonderte Stunde in [65] dem mannichfaltigen Leben, zu dem wir einmal berufen sind.

Alles Gute den werthen Ihrigen.

und so fort an!

Weimar den 8. September 1831.

Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1831. An Sulpiz Boisserée. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9915-C