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An Amalie von Levetzow

Ihr lieber, theurer Brief, meine allerbeste, obgleich erwartet und gehofft, hat mich ganz eigentlich überrascht; denn so ist es mit ersehnten Freuden daß sie, zaudernd, uns für die Ewigkeit auszubleiben scheinen. Eine unwillkührliche Bewegung, womit ich mir den fremden Poststempel und das bekannte Siegel sogleich anzueignen trachtete, werden Sie mir wohl zutrauen.

Und so erreich' ich es denn, nach langem Entbehren, wieder in die Mitte des heitersten Familienkreises einzutreten und eines Zustandes, nunmehr in freyer Luft, in Wein- und Obstgärten, wenn auch nur Gedanckenweise, mich zu erfreuen, eines Zustandes der mich, unter den zwar kurzen, aber doch goldnen Flügeln des Herrlichen Straußes, höchst glücklich gemacht hätte. Noch jetzt empfinde ich es nach, da eine[263] heitere Vergangenheit als wäre sie gegenwärtig ihren reitenden Einfluß ununterbrochen fortsetzt.

Daß ein so schöner Herbst Ihnen gegönnt war machte mir die reinste Freude, ich mochte an heitern Tagen Sie dencken wo ich wollte, so fand ich Sie unter freyem Himmel; und wenn nun gar Ihre liebenswürdige Erzählung mir die schönen böhmischen Gegenden durch eine frohe Thätigkeit der lieben Kinder belebt und die Landschaft erst recht durch die anmuthigsten Figürchen heraushebt, so wüßte ich Gefühl und Einbildungskraft nicht angenehmer zu beschäftigen.

Was unsern theuren gnädigsten en Herren betrifft so kann ich wohl sagen: daß er sich dem allgemeinen Wunsche gemäß aber völlig über alle Erwartung in dem besten Wohlseyn befindet. Nicht allein ist ihm die Berliner Revüe ganz trefflich angeschlagen, sondern er hat nach kurzem Aufenthalt alhier, sogleich in Eisenach den Grundstein zu einer neuen Bürgerschule gelegt, ist von da nach Göttingen gefahren, um die dortigen Gelehrten, ihm höchst anhänglichen Männer freundlichst zu überraschen, und die bedeutenden Anstalten, die er recht gut zu beurtheilen weis, in ihrem neusten Zustande kennen zu lernen. Hiernach befindet er sich wieder hier in gewohnter Thätigkeit, gründet, baut, vollendet, säet, pflanzt und liegt auf eine Weise die jedermann in Bewundrung und Freude versetzt. Ich hoffe er wird danckbarlichst anerkennen wieviel [264] er Marienbad hiebey schuldig geworden und seinen geziemenden Tribut das nächste Jahr fröhlich und hoffnungsvoll abtragen.

Unserm Weimar-Egerischen Ehepaar habe nur das Beste nachzusagen; dieser extemporirte Bund hat sich recht glücklich bewährt. Ihr Wesen das Sie kennen verschafft ihr überall freundlichen Empfang; sie hat die Kinder gewonnen, und, was noch weniger zu erwarten war, die Verwandten der vorigen Frau, so daß sie sich gar wohl in ihren hiesigen Verhältnissen gefallen kann.

Die Fortsetzung, mit Erlaubniß, nächstens; Mit den herzlichsten Grüßen und Betheurung treuster Anhänglichkeit

Weimar d. 29. Nov. 1823.

Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1823. An Amalie von Levetzow. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9976-3