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An Friedrich Heinrich Jacobi

Schon lange haben wir deine Schrifft erhalten und gelesen. Ich mache Herdern und mir Vorwürfe daß wir so lange mit unsrer Antwort zögern, du musst uns entschuldigen, ich wenigstens erkläre mich höchst ungern über eine solche Materie schrifftlich, ia es ist mir beynahe unmöglich.

Darüber sind wir einig und waren es beym ersten Anblicke, daß die Idee die du von der Lehre des Spinoza giebst derienigen die wir davon gefasst haben um vieles näher rückt als wir nach deinen mündlichen Äusserungen erwarten konnten, und ich glaube wir würden im Gespräch völlig zusammenkommen.

Du erkennst die höchste Realität an, welche der Grund des ganzen Spinozismus ist, worauf alles übrige ruht, woraus alles übrige fliest. Er beweist nicht das Daseyn Gottes, das Daseyn ist Gott. Und wenn ihn andre deshalb Atheum schelten, so mögte ich ihn theissimum ia christianissimum nennen und preisen.

Schon vor vierzehn Tagen hatte ich angefangen [62] dir zu schreiben, ich nahm eine Copie deiner Abhandlung mit nach Ilmenau, wo ich noch manchmal hineingesehen habe und immer wie beym Ermel gehalten wurde daß ich dir nichts drüber sagen konnte. Nun verfolgt mich dein Steckbrief hierher der mir schon durch Siegel und Innschrifft das Gewissen schärffte.

Vergieb mir daß ich so gerne schwiege wenn von einem göttlichen Wesen die Rede ist, das ich nur in und aus den rebus singularibus erkenne, zu deren nähern und tiefern Betrachtung niemand mehr aufmuntern kann als Spinoza selbst, obgleich vor seinem Blicke alle einzelne Dinge zu verschwinden scheinen.

Ich kann nicht sagen daß ich iemals die Schrifften dieses trefflichen Mannes in einer Folge gelesen habe, daß wir iemals das ganze Gebäude seiner Gedancken völlig überschaulich vor der Seele gestanden hätte. Meine Vorstellungs und Lebensart erlauben's nicht. Aber wenn ich hineinsehe glaub ich ihn zu verstehen, das heist: er ist mir nie mit sich selbst in Widerspruch und ich kann für meine Sinnes und Handelns Weise sehr heilsame Einflüsse daher nehmen.

Deswegen wird es mir schweer was du von ihm sagst mit ihm selbst zu vergleichen. Sprache und Gedancke sind bey ihm so innig verbunden daß es mir wenigstens scheint als sage man ganz was anders wenn man nicht seine eigensten Worte braucht. Wie offt hast du nicht ganze Stellen aus ihm untersetzen müssen. Du trägst in anderer Ordnung mit andern[63] Worten seine Lehre vor und mich dünckt die höchste Consequenz der allersubtilsten Ideen muß dadurch offt unterbrochen werden.

Verzeih mir der ich nie an Metaphysische Vorstellungsart Anspruch gemacht habe, daß ich nach solanger Zeit nicht mehr und nichts bessers schreibe. Heute mahne ich Herdern und hoffe der solls besser machen.

Hier bin ich auf und unter Bergen, suche das göttliche in herbis et lapidibus.

Knebel, Voigt und Fritz sind mit mir, es giebt genug zu thun und die Arbeit wird durch gemeinsame Freude an allem was vorkommt belebt.

Balde gehts in's Karlsbad. Ende August bin ich gewiß wieder zu Hause, wenn nur die Fürstinn Gallizin mit ihren Begleitern nicht zu früh kommt. Schreibe mir deswegen nach Karlsbad, in der Hälfte künftigen Monats trifft mich dein Brief dort gewiß, ich richte mich alsdann darnach, denn ich will vom Bade aus in's Erzgebürge gehn. Lebe wohl grüse die deinigen.

Ilmenau d. 9. Juni 85.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1785. An Friedrich Heinrich Jacobi. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9979-E