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An Carl Cäsar von Leonhard

Ew. Hochwohlgeboren

verzeihen, daß ich in so langer Zeit nichts von mir hören lassen. Zur Entschuldigung möge mir dienen, daß seit einem Vierteljahr bey uns soviel im Innern vorgegangen, daß man kaum den Blick nach außen wenden durfte. Auch hatte ich, gleich nach Empfang Ihres werthen Schreibens, begonnen, die an mich erlassene Frage etwas umständlich, wie sie verdient, zu beantworten: Ob man nämlich die Edelsteine abgeschlossen für sich behandeln, und ihnen in der Natur gewisse Entstehungsepochen anweisen könne?

Schon früher, als Ew. Hochwohlgeb. einer solchen Arbeit gegen mich erwähnten, habe ich darüber nachgedacht, kann aber nicht in's Reine kommen. Mir scheint, als wenn die Natur, wie sie im anorganischen Reiche die höhern chemischen Wirkungen niemals aufgeben kann, auch in jeder Zeit-Epoche die Veredlung an Form und Farbe pp. sich vorbehalten habe, da sie ja in den letzten Kalk- und Mergelepochen die schönsten und reinsten Bergcrystalle zu bilden vermochte. Im Ganzen wäre jedoch wünschenswerth, daß Ew. Hochwohlgeb. Ihre Bearbeitung dieses Gegenstandes an Ihre Untersuchungen über das Vorkommen überhaupt anschlössen, damit man erführe wie in den anerkannten Bildungsepochen unserer Erde auch diejenigen [348] Körper, die wir Edelsteine nennen, nach und nach zum Vorscheine kommen. Doch wird es immer schwer werden hier eine Gränze zu ziehen, weil die Veredlung an Form, Durchsichtigkeit, Härte und Farbe entweder zusammen oder doch theilweis den Mineralkörpern mehr oder weniger zukommt, sobald sie, gasförmig oder sonst aufgelöst, in Freyheit gesetzt, in den erforderlichen Räumen sich wieder zu verkörpern Gelegenheit finden. Ferner giebt es ja unter den ursprünglichen Gebirgsmassen und Gangarten solche, die gar wohl verdienen edel genannt zu werden, wie z.B. die Adulare. Im Gegentheil scheint nach den zu uns gekommenen Nachrichten der Diamant ein spätes Erzeugniß, und wenn wir bedenken, welche ungeheure Gebirge noch jetzt vom Meere bedeckt und gebildet werden; so dürfen wir vermuthen, daß noch bis auf den heutigen Tag solche Veredlungen vor sich gehen; wie wir denn auch in alten Gruben Crystalle von Rothgültigerz auf Stempeln angeschossen gefunden haben.

Nach allen diesen Betrachtungen scheint es mir schwer ein echtes Naturverhältniß aufzufinden, in welchem die Edelsteine unter sich betrachtet werden könnten. Ja wenn man bedenkt, daß sie zuerst blos aus Liebe zu Zierde und Putz zusammengestellt worden und der Türkis wegen seiner angenehmen Farbe auch einen Platz unter ihnen fand so scheint mir dieses dahin zu deuten, daß sie wohl jemand zum Gegenstand [349] seines Studiums machen könne, aber nur in empirischer Hinsicht, als etwa um des Handels willen, oder sonst aus Neigung zu der hohen Schönheit dieser Naturgegenstände. Wir haben hievon ein Beyspiel an Brückmann und dessen hinterlassenen Sammlungen; auch er konnte keine Gränze ziehen und die fremdartigsten Körper liegen in einem Schmuckkästchen beysammen.

Auf alle Fälle werden Ew. Hochwohlgeb. Untersuchungen gar manches Schöne und Belehrende zu Tag fördern, weil, wie schon erwähnt, die Hauptlehre vom Vorkommen dabey gewinnen muß, womit ich mich zu erfreuen bitte. So wie ich in der Folge zu erfahren wünsche, wie Ihre Ortsveränderungen etwa eingeleitet und beschlossen ist.

mit den aufrichtigsten Wünschen

gehorsamst

Weimar d. 29. Apr. 1816.

Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1816. An Carl Cäsar von Leonhard. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9987-E