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An Friedrich Schiller

[Frankfurt, 12. August.]

Es pflegt meist so zu gehen daß man für diejenigen die in Bewegung sind besorgt ist, und es sollte öfters umgekehrt seyn. So sagt mir Ihr lieber Brief, vom 7ten, daß Sie sich nicht zum besten befunden haben, indeß ich von der Witterung wenig oder gar nicht litt. Die Gewitter kühlten, Nachts und Morgens, die Atmosphäre aus, wir fuhren sehr früh, die heißesten Stunden des Tages fütterten wir, und wenn denn auch einige Stunden des Wegs bey warmer Tagszeit zurückgelegt wurden, so ist doch meist auf den Höhen und in den Thälern, wo Bäche fließen, ein Luftzug. Genug ich bin mit geringer Unbequemlichkeit nach Frankfurt gekommen. Hier möchte ich nun mich an ein großes Stadtleben wieder gewöhnen, mich gewöhnen nicht nur zu reisen sondern auch auf der Reise zu leben; wenn mir nur dieses vom Schicksal nicht ganz versagt ist, denn ich fühle recht gut daß meine Natur nur nach Sammlung und Stimmung strebt, und an allem keinen Genuß hat was diese [228] hindert. Hätte ich nicht an meinem Hermann und Dorothea ein Beyspiel daß die modernen Gegenstände, in einem gewissen Sinne genommen, sich zum epischen bequemten, so möchte ich von aller dieser empirischen Breite nichts mehr wissen. Auf dem Theater, so wie ich auch wieder hier sehe, wäre in dem gegenwärtigen Augenblick manches zu thun, aber man müßte es leicht nehmen und in der Gozzischen Manier tractiren; doch es ist in keinem Sinne der Mühe werth.

Meyer hat unsere Balladen sehr gut aufgenommen. Ich habe nun, weil ich von Weimar aus nach Stäfa wöchentlich Briefe an ihn schrieb, schon mehrere Briefe von ihm hier erhalten, es ist eine reine und treufortschreitende Natur, unschätzbar in jedem Sinne. Ich will nur eilen ihn wieder persönlich habhaft zu werden und ihn dann nicht wieder von mir lassen.

Den Alten auf dem Topfberge bedaure ich herzlich, daß er verdammt ist durch, Gott weiß, welche wunderliche Gemüthsart, sich und andern auf eigenem Felde den Weg zu verkümmern. Da gefallen mir die Frankfurter Bankiers, Handelsleute, Agioteurs, Krämer, Juden, Spieler und Unternehmer tausendmal besser, die doch wenigstens selbst was vor sich bringen, wenn sie auch andern ein Bein stellen. – Der Nikolaus Pesce ist, so viel ich mich erinnere, der Held des Märchens das Sie behandelt haben, ein Taucher von Handwerk. Wenn aber unser alter [229] Freund bey einer solchen Bearbeitung sich noch der Chronik erinnern kann die das Geschichtchen erzählt, wie soll man's dem übrigen Publico verdenken wenn es sich bey Romanen erkundigt: ob das denn alles sein wahr sey? Eben so ein merkwürdiges Beyspiel, giebt Diderot, der bey einem so hohen Genie, bey so tiefem Gefühl und klärem Verstand, doch nicht auf den Punkt kommen konnte zu sehen: daß die Cultur durch Kunst ihren eignen Gang gehen muß, daß sie keiner andern subordiniert seyn kann, daß sie sich an alle übrige so bequem anschließt, u.s.w., was doch so leicht zu begreifen wäre; weil das Factum so klar am Tage liegt.

Äußerst fratzenhaft erscheint der arme Rosegarten, der, nachdem er nun zeitlebens gesungen und gezwitschert hat, wie ihm von der lieben Natur die Kehle gebildet und der Schnabel gewachsen war, seine Individualität durch die Folterschrauben der neuen philosophischen Forderungen selbst auszurechnen bemüht ist, und seine Bettlerjacke auf der Erde nachschleift, um zu versichern, daß er doch auch ohngefähr so einen Königsmantel in der Garderobe führe. Ich werde das Exhibitum sogleich an Meyern absenden. Indessen sind diese Menschen, die sich noch denken können daß das Nichts unserer Kunst alles sey, noch besser dran als wir andern, die wir doch mehr oder weniger überzeugt sind: daß das Alles unserer Kunst nichts ist.

[230] Für einen Reisenden geziemt sich ein skeptischer Realism. Was noch idealistisch an mir ist wird in einem Schatullchen, wohlverschlossen, mitgeführt wie jenes unendliche Pygmäenweibchen, Sie werden also von dieser Seite Geduld mit mir haben. Wahrscheinlich werde ich Ihnen jenes Reisegeschichtchen auf der Reise zusammenschreiben können. Übrigens will ich erst ein paar Monate abwarten. Denn obgleich in der Empirie fast alles einzeln unangenehm auf mich wirkt, so thut doch das Ganze sehr wohl, wenn man endlich zum Bewußtseyn seiner eignen Besonnenheit kommt. Leben Sie recht wohl und interpretiren Sie sich, da Sie mich kennen, meine oft wunderlichen Worte, denn es wäre mir unmöglich mich selbst zu rectificiren und diese rhapsodischen Grillen in einen Zusammenhang und Bestand zu bringen.

Grüßen Sie mir Ihre liebe Frau und halten Sie unsere Agnes und Amelie ja recht werth. Man weiß nicht eher was man an solchen Naturen hat als bis man sich in der breiten Welt nach ähnlichen umsieht. Sie, mein Freund, haben die Gabe auch lehrend wirksam zu seyn, die mir ganz versagt ist; diese beiden Schülerinnen werden gewiß noch manches Gute hervorbringen, wenn sie nur ihre Apperçus mittheilen und in Absicht auf Disposition des Ganzen etwas mehr von den Grundforderungen der Kunst einsehen lernen.


[231]

Frankfurt d. 14. Aug. 1797.

Gestern habe ich die Oper Palmira aufführen sehen, die im Ganzen genommen sehr gut und anständig gegeben ward. Ich habe auch dabey vorzüglich die Freude gehabt einen Theil ganz vollkommen zu sehen, nämlich die Decorationen; sie sind von einem Mailänder Fuentes, der sich gegenwärtig hier befindet. Bey der Theaterarchitektur ist die große Schwierigkeit, daß man die Grundsätze der ächten Baukunst einsehen, und von ihnen doch wieder zweckmäßig abweichen soll. Die Baukunst im höhern Sinne soll ein ernstes, hohes, festes Daseyn ausdrucken, sie kann sich, ohne schwach zu werden, kaum auf's Anmuthige einlassen, auf dem Theater aber soll alles eine anmuthige Erscheinung seyn. Die theatralische Baukunst muß leicht, geputzt, mannigfaltig seyn, und sie soll doch zugleich das Prächtige, Hohe, Edle darstellen. Die Decorationen sollen überhaupt, besonders die Hintergründe, Tableaus machen, der Decorateur muß noch einen Schritt weiter thun als der Landschaftsmahler, der auch die Architektur nach seinem Bedürfniß zu modificiren weiß. Die Decorationen zu Palmira geben Beyspiele woraus man die Lehre der Theatermahlerey abstrahiren könnte. Es sind 6 Decorationen die auf einander in zwey Akten folgen, ohne daß eine wiederkommt, sie sind mit sehr kluger Abwechslung und Gradation erfunden. Man sieht ihnen an daß der Meister alle Moyens [232] der ernsthaften Baukunst kennt, selbst da, wo er baut wie man nicht bauen soll und würde, behält doch alles den Schein der Möglichkeit bey und alle seine Constructionen gründen sich auf den Begriff dessen was im wirklichen gefordert wird, seine Zierrathen sind sehr reich, aber mit reinem Geschmack angebracht und vertheilt, diesen sieht man die große Stukaturschule an, die sich in Mailand befindet und die man aus den Kupferstichwerken des Albertolli kann kennen lernen. Alle Proportionen gehen ins schlanke, alle Figuren, Statuen, Basreliefs, gemalte Zuschauer gleichfalls, aber die übermäßige Länge und die gewaltsamen Gebärden mancher Figuren sind nicht Manier, sondern die Nothwendigkeit und der Geschmack haben sie so gefordert, das Colorit ist untadelhaft und die Art zu mahlen äußerst frey und bestimmt. Alle die perspectivischen Kunststücke, alle die Reize der nach Directionspuncten gerichteten Massen zeigen sich in diesen Werten. Die Theile sind völlig deutlich und klar ohne hart zu seyn, und das ganze hat die lobenswürdigste Haltung. Man sieht die Studien einer großen Schule und die Überlieferungen mehrerer Menschenleben in dem unendlichen Detail und man darf wohl sagen daß diese Kunst hier auf dem höchsten Grade steht. Nur Schade daß der Mann so kränklich ist, daß man an seinem Leben verzweifelt. Ich will sehen daß ich das was ich hier nur flüchtig hingeworfen habe, besser zusammenstelle und ausführe.

[233] Und so leben Sie wohl und lassen mich bald von sich hören. Ich bin oft auf Ihrer stillen Höhe bey Ihnen und wenn's recht regnet erinnre ich mich des Rauschens der Leutra und ihrer Gossen.

Nicht ehr will ich wieder kommen als biß ich wenigstens eine Sattheit der Empirie empfinde, da wir an eine Totalität nicht dencken dürfen. Leben Sie recht wohl und grüßen alles.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1797. An Friedrich Schiller. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9A41-F