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An Christian Gottfried Körner

Gar viele liebliche und ahndungsvolle Erinnerungen wurden diese Tage bey mir aufgeregt; beide treffliche [22] Humbolds von Norden und Westen gedachten meiner, mit Brief und Sendung; da mußte denn unser jenaisches Zusammenseyn entschieden zur Sprache kommen, man mußte Schillers gedenken; sodann aber drang sich auf, was zeither alles geschehen, wie viel gewonnen und verloren worden.

Auch Ihr Andenken, mein Theuerster, fand sich in jene Tage mit eingeflochten, und nun erhalt ich von Ihnen gleichfalls Anregung, an Ort und Zeit zu gedenken, wo Ältern und Kinder zusammen, auf dem edelsten Wege, gränzenlose Hoffnungen zu hegen berechtigt waren.

Früge ich nun hinzu, daß die Erinnerung an die theuren Ihrigen bis in meine frühsten Jahre hinausreicht, so kann an diesem Faden gar manches Andenken abgesponnen werden. Eine seltsam wilde Zeit hat die Menschen getrennt, auseinander gehalten, wo nicht geschieden; daher sey uns höchst erfreulich, was überzeugt, daß alles Edle, Wohlverknüpfte und Verbundene über die Zeiten hinausreicht und über das Geschick, das, nachdem es lange verwirrt, doch wieder herstellen muß.

Haben Sie nun vielfachen Dank, daß Sie mich an das Vergnügen erinnern, welches mir die Arbeiten Ihres guten Sohnes gewährt, zur Zeit da ich, dem Theater viele Tage widmend, wünschen mußte, junge Geister mit Talent und Geschmack in diesem Fache hervorkeimen zu sehen. Auch jetzt eilen diese so anmuthigen Bilder gefällig bey'm Lesen vor der Einbildungskraft [23] vorüber, und ich höre mit Vergnügen, daß sie sich auf dem Theater in Ehren erhalten.

Leben Sie nach Verdienst recht wohl und glücklich und gönnen mir und meinen Productionen auch fern einige Theilnahme. Wie oft und viel hab ich Ursache, mich nach Berlin zu wünschen. Besuche von dort her, in Person und Briefen, die frohe Erinnerung meiner Kinder an ihren dortigen Aufenthalt, Nachrichten von so vielem Genußreichen, was täglich hervortritt, geben einen starken Reiz, der den Wunsch nach Nobilität gar oft lebendig werden läßt. Indessen muß ich mich begnügen, die böhmischen Gebirge zu besuchen, wobey ich denn freylich hoffe, den dortigen Heilquellen abermals entschiedenen Dank schuldig zu werden.

Mit den aufrichtigsten Wünschen und Empfehlungen an die theuren Ihrigen

treulichst

Weimar den 22. Juli 1821.

J. W. v. Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1821. An Christian Gottfried Körner. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9A60-B