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An Friedrich Schiller

Weimar den 24. Nov. 1797.

Ich schicke die Garvischen Briefe mit Dank zurück, und wünschte der arme alte kranke Mann schölte noch viel ärger auf uns, wenn er dadurch nur für seine übrige Lebenszeit gesund und froh werden könnte. Welch eine Litaney von jammervollen Betrachtungen läßt sich nicht bey diesen Blättern rezitiren, womit ich Sie wie billig verschone, weil sich Ihnen das alles so schon aufgedrungen hat. Bemerkt man doch bey diesem so guten und wackern Mann keine Spur eines ästhetischen Gefühls! Von einer Seite sind seine Urtheile grobmateriell und von der andern tractirt er die Sache als Ceremonienmeister, um ja besonders den subordinirten Talenten ihr Plätzchen anzuweisen. Es[359] ist nur gut daß Sie ihn durch drey Worte wieder versöhnt haben. Wie natürlich es doch solche Sittenrichter finden, daß ein Autor Zeit seines Lebens seine besten Bemühungen verkennen, sich retardiren, necken, hänseln und hudeln lasse, weil das nun einmal so eingeführt ist! Und dabey soll er geduldig, seiner hohen Würde eingedenk, mit übereinandergeschlagnen Händen, wie ein ecce Homo dastehen, nur damit Herr Manso und seines gleichen, auch in ihrer Art, für Dichter passiren können. Doch genug von diesen Armseligkeiten! Lassen Sie uns auf unsern Wegen immer beständig und rascher fortschreiten.


Den 25. Nov.

Für Brief und Packet, die ich so eben erhalte, danke ich schönstens und sage nur noch geschwind, und aus dem Stegreife, daß ich nicht allein Ihrer Meinung bin, sondern noch viel weiter gehe. Alles poetische sollte rhythmisch behandelt werden! das ist meine Überzeugung, und daß man nach und nach eine poetische Prosa einführen konnte, zeigt nur daß man den unterschied zwischen Prosa und Poesie gänzlich aus den Augen verlor. Es ist nicht besser als wenn sich jemand in seinem Park einen trocknen See bestellte und der Gartenkünstler diese Aufgabe dadurch aufzulösen suchte daß er einen Sumpf anlegte. Diese [360] Mittelgeschlechter sind nur für Liebhaber und Pfuscher, so wie die Sümpfe für Amphibien. Indessen ist das Übel in Deutschland so groß geworden daß es kein Mensch mehr sieht, ja daß sie vielmehr, wie jenes kröpfige Volk, den gesunden Bau des Halses für eine Strafe Gottes halten. Alle dramatische Arbeiten (und vielleicht Lustspiel und Farce zuerst) sollten rhytmisch seyn und man würde alsdenn eher sehen wer was machen kann. Jetzt aber bleibt dem Theaterdichter fast nichts übrig als sich zu accommodiren, und in diesem Sinne konnte man Ihnen nicht verargen wenn Sie Ihren Wallenstein in Prosa schreiben wollten; sehen Sie ihn aber als ein selbstständiges Werk an, so muß er nothwendig rhythmisch werden.

Auf alle Fälle sind mir genöthigt unser Jahrhundert zu vergessen wenn wir nach unsrer Überzeugung arbeiten wollen. Denn so eine Saalbaderey in Principien, wie sie im allgemeinen jetzt gelten, ist wohl noch nicht auf der Welt gewesen und was die neuere Philosophie gutes stiften wird ist noch erst abzuwarten.

Die Poesie ist doch eigentlich auf die Darstellung des empirisch pathologischen Zustandes des Menschen gegründet, und wer gesteht denn das jetzt wohl unter unsern fürtrefflichen Kennern und sogenannten Poeten? Hat ein Mann wie Garve, der doch auch zeitlebens gedacht haben will, und für eine Art von Philosophen galt, denn nur die geringste Ahndung eines solchen [361] Axioms? Hält er Sie nicht darum nur für einen würdigen Dichter, weil Sie sich den Spaß gemacht haben die Aussprüche der Vernunft mit dichterischem Munde vorzutragen, was wohl zu erlauben, aber nicht zu loben ist. Wie gerne wollte ich diesen prosaischen Naturen erlauben vor den sogenannten unsittlichen Stoffen zurückzuschaudern, wenn sie nur ein Gefühl für das höhere poetisch sittliche z.B. im Polykrates und Ibykus hätten und davon entzückt würden.

Lassen Sie uns, besonders da Meyer auch einen grimmigen Rigorism aus Italien mitgebracht hat, immer strenger in Grundsätzen und sichrer und behaglicher in der Ausführung werden! Das letzte kann nur geschehen wenn wir während der Arbeit unsere Blicke nur innerhalb des Rahmens fixiren.

Hierbey meine Elegie mit dem Wunsche einer freundlichen Ausnahme.

Zeltern bleiben wir auch sechs Bouteillen Champagner schuldig für die feste gute Meinung die er von uns gehegt hat. Seine Indische Legende ist mir sehr werth. Der Gedanke ist original und wacker, das Lied an Mignon habe ich noch nicht einmal gehört. Die Componisten spielen nur ihre eigne Sachen und die Liebhaber haben auch nur wieder besonders begünstigte Stücke. Auf meinem ganzen Wege habe ich niemand gefunden der sich in etwas fremdes und neues hätte einstudiren mögen.

Lassen Sie mich doch einige Exemplare der Melodien [362] zum Almanach erhalten, sie fehlen bey denen mir übersendeten durchaus. Möchten Sie doch mit Ihrem Wallenstein recht glücklich seyn damit wir Sie desto eher bey uns sehen.

Ein herzliches Lebewohl und Gruß an die Ihrigen.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1797. An Friedrich Schiller. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9A61-9