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An Carl Friedrich Zelter

Nun ist alles, mein werthester Freund, was du mir zugedacht angekommen, und in der Zwischenzeit wirst du auch einen Brief von mir erhalten haben, der, damit das letzte Blatt nicht leer bliebe, von einigen Reimspäßen begleitet ist. Dergleichen Dinge gedeihen unter deinen Händen gar glücklich zum Canon und anderer Art Wettgefänge. Ich bedauere nur, daß uns eine so weite Entfernung trennt, denn sonst würde mein Leben um vieles klangreicher werden. Ich hatte einen Freund der zu sagen pflegte, er wünsche nur in zwey Fällen König seyn, wenn nähmlich bey Tafel frische Heringe, oder englisch Bier präsentirt würde, damit er von jenen das Mittelstück, und von diesem das erste Glas zu sich nehmen könne. Ein ähnliches Gefühl hatte ich, als du mir den hohen Besuch meldetest, der sich an deiner großen und einzigen Darstellung erquickt hat. Hier ist es nun freylich leichter, den hohen Gästen ihr übriges königliches Geschick nicht zu mißgönnen. Doch hätte ich wohl gern an dieser großen Tafel, die so viele Theilnehmende zuläßt, mitgeschwelgt.

Indessen du dir nun, freylich nicht ohne Müh und Ausdauer, den Vorschmack des Himmels geben kannst; muß ich leider, auf die wunderlichste Weise, betteln und negoziiren, um dasjenige nur unvollkommen [242] zu genießen, was du mir gönnen magst. In diesem Fall empfindet man den engen und hülflosen Zustand einer kleinen Stadt nur allzu sehr, nicht als wenn die Elemente gänzlich mangelten, aus welchen sich eine genußreiche Welt, im Kleinen, schaffen ließe, aber weil eben diese Clemente sich, gerade wegen der Enge und Nähe, eher abstoßen als anziehen, und dem Schöpfer kein Spielraum gegeben ist, sie dergestalt zu handhaben, daß sich ihre freundlichen Pole verbinden müßten. Die lächerlichsten Scenen in Wilhelm Meister sind ernshaft gegen die Späße, zu denen ich meine Zuflucht nehmen muß, um zu bewirken, daß deine Sendungen sich vom Auge losreißen und zum Ohr gelangen.

Die bildende Kunst hat darin größere Vortheile, sie gewährt dem Auge ein dauerndes Vergnügen, und wenn der Künstler einmal das Geschick gehabt hat, etwas Gutes zu machen, so erhält ja wohl das Glück auch sein Werk, hundert, ja tausend Jahre, und überliefert es den Einsichtigen zum Genuß. Es ist mir die letzte Zeit so wohl geworden, theils unter meinen frühern Besitzungen, die ich lange nicht gemustert, manches unerwartete Gute anzutreffen, theils, da jetzt so vieles in der Welt los ist, köstliche Dinge um leidliche Preise zu erhalten. Hierbey ist aber auch gerade der umgekehrte Fall, man kann sie nicht wie eine Partitur in die Ferne senden und seinen Genuß mit auswärtigen Freunden theilen.

[243] Mit Gelegenheit sende ich eine Partitur, die jenen Christoph Kayser zum Verfasser hat, von dem du einige Dinge kennst, besonders eine Weihnachtscantate; er war mit mir in Italien und lebt noch ein abstruses Leben in Zürich, und ich wünschte dein Urtheil über seine Art und Weise recht ausfürlich zu hören. Was ich senden werde, ist die Ouverture und der erste Act von Scherz, List und Rache, das er ganz componirt hat. Ich gedenke sein jetzt, da ich meine italiänische Reise bearbeite, und möchte gern auch über seine Kunst im Klaren seyn, wie ich es bin über seine Studien und seinen Charakter.

Kürzlich und eilig danke für die große Freude welche mir durch deine Sendung geworden ist. Es gelang mir dießmal meine wandelbare Hauscapelle recht gut zu organisiren.

Weimar d. 4. May 14.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1814. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9A9B-9