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An Friedrich Schiller
Stuttgard den 30. Aug. 1797.
Nachdem ich Sie heute Nacht, als den Heiligen aller am schlaflosen Zustande leidenden Menschenkinder, öfters um Ihren Beystand angerufen, und mich auch wirklich durch Ihr Beyspiel gestärkt gefühlt habe, eines der schlimmsten Wanzenabentheuer im Bauche des römischer Kaisers zu überstehen; so ist es nunmehr meinem Gelübde gemäß Ihnen sogleich eine Nachricht von meinen Zuständen zu ertheilen.
Den 25. ging ich von Frankfurt ab, und hatte eine angenehme Fahrt bey bedecktem Himmel bis Heidelberg, wo ich bey völlig heiterm Sonnenschein die Gegend fast den ganzen andern Tag mit Entzücken betrachtete.
Den 27. fuhr ich sehr früh ab, ruhte die heiße Zeit in Sinsheim und kam noch bald genug nach Heilbronn. Diese Stadt mit ihrer Umgebung interessirte mich sehr, ich blieb den 28. daselbst und fuhr den 29. früh aus, daß ich schon um 9 Uhr in Ludwigsburg war, Abends um 5 Uhr erst wieder wegfuhr und mit Sonnen Untergang nach Stuttgard kam, das in seinem Kreise von Bergen sehr ernsthaft in der Abenddämmerung dalag.
Heute früh recognoscirte ich allein die Stadt, ihre Anlage, so wie besonders die Alleen gefielen mir sehr [274] wohl. An Herrn Rapp fand ich einen sehr gefälligen Mann und schätzbaren Kunstliebhaber, er hat zur Landschaftscomposition ein recht hübsches Talent, gute Kenntniß und Übung. Wir gingen gleich zu Professor Dannecker bey dem ich einen Hektor der den Paris schilt, ein etwas über Lebensgröße in Gyps ausgführtes Modell fand, so wie auch eine ruhende, nackte, weibliche Figur im Charakter der sehnsuchtsvollen Sappho, in Gyps fertig und in Marmor angefangen, ferner eine kleine traurend sitzende Figur zu einem Zimmer-Monument. Ich sah ferner bey ihm das Gypsmodell eines Kopfes vom gegenwärtigen Herzog, der besonders in Marmor sehr gut gelungen seyn soll, so wie auch seine eigne Büste, die ohne Übertreibung, geistreich und lebhaft ist. Was mich aber besonders frappirte, war der Originalausguß von Ihrer Büste, der eine solche Wahrheit und Ausführlichkeit hat, daß er wirklich Erstaunen erregt. Der Ausguß, den Sie besitzen, läßt diese Arbeit wirklich nicht ahnden. Der Marmor ist darnach angelegt und wenn die Ausführung so geräth, so giebt es ein sehr bedeutendes Bild. Ich sah noch kleine Modelle bey ihm, recht artig gedacht und angegeben, nur leidet er daran, woran wir modernen alle leiden: an der Wahl des Gegenstands. Diese Materie, die wir bisher so oft, und zuletzt wieder bey Gelegenheit der Abhandlung über den Laokoon besprochen haben, erscheint mir immer in ihrer höhern Wichtigkeit. Wann werden [275] wir armen Künstler dieser letzten Zeiten uns zu diesem Hauptbegriff erheben können!
Auch sah ich bey ihm eine Vase aus graugestreiftem Alabaster, von Isopi, von dem uns Wolzogen so viel erzählte. Es geht aber über alle Beschreibung und niemand kann sich ohne Anschauung einen Begriff von dieser Vollkommenheit der Arbeit machen. Der Stein, was seine Farbe betrifft, ist nicht günstig, aber seiner Materie nach desto mehr. Da er sich leichter behandeln läßt als der Marmor, so werden hier Dinge möglich, wozu sich der Marmor nicht darbieten würde. Wenn Cellini, wie sich glauben läßt, seine Blätter und Zierrathen in Gold und Silber gedacht und vollendet hat, so kann man ihm nicht übel nehmen, wenn er selbst mit Entzücken von seiner Arbeit spricht.
Man fängt an, den Theil des Schlosses der unter Herzog Carl, eben als er geendigt war, abbrannte, wieder auszubauen und man ist eben mit den Gesimsen und Decken beschäftigt. Isopi modellirt die Theile, die alsdann von andern Stukaturen ausgegossen und eingesetzt werden, seine Verzierungen sind sehr geistreich und geschmackvoll, er hat eine besondere Liebhaberey zu Vögeln, die er sehr gut modellirt und mit andern Zierrarthen angenehm zusammenstellt. Die Composition des Ganzen hat etwas originelles und leichtes.
In Professor Scheffauers Werkstatt (ihn selbst traf ich nicht an) fand ich eine schlafende Venus mit[276] einem Amor, der sie aufdeckt, von weißem Marmor, wohlgearbeitet und gelegt, nur wollte der Arm, den sie rückwärts unter den Kopf gebracht hatte, gerade an der Stelle der Hauptansicht keine gute Wirkung thun. Einige Basreliefs antiken Inhalts, ferner die Modelle zu dem Monument, welches die Gemahlin des jetzigen Herzogs, auf die, durch Gebete des Volks und der Familie, wieder erlangte Genesung des Fürsten aufrichten läßt. Der Obelisk steht schon auf dem Schloßplatze, mit den Gipsmodellen geziert.
In Abwesenheit des Prof. Hetsch ließ uns seine Gattin seinen Arbeitssaal sehen. Sein Familienbild in ganzen, lebensgroßen Figuren hat viel Verdienst, besonders ist seine eigne höchst wahr und natürlich. Es ist in Rom gemahlt. Seine Portraite sind sehr gut und lebhaft und sollen sehr ähnlich seyn. Er hat ein historisches Bild vor, aus der Messiade, da Maria sich mit Portia, der Frau des Pilatus, von der Glückseligkeit des ewigen Lebens unterhält und sie davon überzeugt. Was sagen Sie zu dieser Wahl überhaupt? und was kann ein schönes Gesicht ausdrücken das die Entzückung des Himmels vorausfühlen soll? Überdies hat er zu dem Kopf der Portia zwey Studien nach der Natur gemacht, das eine nach einer Römerinn, einer geist-und gefühlvollen, herrlichen Brünette, und das andre nach einer blonden guten weichen Deutschen. Der Ausdruck von beyden Gesichtern ist, wie sich's versteht, nichts weniger als überirdisch, und wenn so [277] ein Bild auch gemacht werden könnte, so dürften keine individuellen Züge darinn erscheinen. Indeß möchte man den Kopf der Römerinn immer vor Augen haben. Es hat mich so ein erzdeutscher Einfall ganz verdrießlich gemacht. Daß doch der gute bildende Künstler mit dem Poeten wetteifern will, da er doch eigentlich durch das, was er allein machen kann und zu machen hätte, den Dichter zur Verzweiflung bringen könnte.
Professor Müllern fand ich an dem Graffischen Portrait, das Graff selbst gemahlt hat. Der Kopf ist ganz fürtrefflich, das künstlerische Auge hat den höchsten Glanz, nur will mir die Stellung, da er über einen Stuhlrücken sich herüber lehnet, nicht gefallen, um so weniger da dieser Rücken durchbrochen ist und das Bild also unten durchlöchert erscheint. Das Kufper ist übrigens auf dem Wege gleichfalls fürtrefflich zu werden. Sodann ist er an Auch einem Todt eines Generals beschäftigt, und zwar eines amerikanischen, eines jungen Mannes, der bei Bunkershill blieb. Das Gemählde ist von einem Amerikaner Trumbul und hat Vorzüge des Künstlers und Fehler des Liebhabers. Die Vorzüge sind sehr charakteristische und vortrefflich tockirte Portraitgesichter, die Fehler: Disproportionen der Körper unter einander und ihrer Theile. Componirt ist es, verhältnißmäßig zum Gegenstande, recht gut und, für ein Bild auf dem so viel rothe Uniformen erscheinen müssen, ganz [278] verständig gefärbt; doch macht es im ersten Anblick immer eine grelle Wirkung, bis man sich mit ihm wegen seiner Verdienste versöhnt. Das Kupfer thut im ganzen sehr gut und ist in seinen Theilen fürtrefflich gestochen. Ich sah auch das bewundernswürdige Kupfer des letzten Königs in Frankreich, in einem fürtrefflichen Abdruck aufgestellt.
Gegen Abend besuchten wir Herrn Consistorialdirector Ruoff, welcher eine treffliche Sammlung von Zeichnungen und Kupfern besitzt, wovon ein Theil zur Freude und Bequemlichkeit der Liebhaber unter Glas aufgehängt ist. Sodann gingen wir in Herrn Rapps Garten und ich hatte abermals das Vergnügen mich an den verständigen und wohlgefühlten Urtheilen dieses Mannes über manche Gegenstände der Kunst, so wie über Danneckers Lebhaftigkeit zu erfreuen.
Den 31. Aug. 97.
Hier haben Sie ohngefähr den Inhalt meines gestrigen Tages, den ich, wie Sie sehen, recht gut zugebracht habe. Übrigens wären noch manche Bemerkungen zu machen. Besonders traurig für die Baukunst war die Betrachtung: was Herzog Carl, bey seinem Streben nach einer gewissen Größe, hätte hinstellen können, wenn ihm der wahre Sinn dieser Kunst aufgegangen und er so glücklich gewesen wäre tüchtige Künstler zu seinen Anlagen zu finden. Allein man sieht wohl, er hatte nur eine gewisse vornehme[279] Pracht-Richtung, ohne Geschmack, und in seiner frühern Zeit war die Baukunst in Frankreich, woher er seine Muster nahm, selbst verfallen. Ich bin gegenwärtig voll Verlangen Hohenheim zu sehen.
Nach allem diesem, das ich niedergeschrieben habe, als wenn Ihnen nicht selbst schon ein großer Theil bekannt wäre, muß ich Ihnen sagen: daß ich unterweges auf ein poetisches Genre gefallen bin, in welchem wir künftig mehr machen müssen, und das vielleicht dem folgenden Almanach gut thun wird. Es sind Gespräche in Liedern. Wir haben in einer gewissen ältern deutschen Zeit recht artige Sachen von dieser Art und es läßt sich in dieser Form manches sagen, man muß nur erst hineinkommen und dieser Art ihr eigenthümliches abgewinnen. Ich habe so ein Gespräch zwischen einem Knaben, der in eine Müllerinn verliebt ist, und dem Mühlbach angefangen und hoffe es bald zu überschicken. Das poetisch-tropisch- allegorische wird durch diese Wendung lebendig, und besonders auf der Reise, wo einen so viel Gegenstände ansprechen, ist es ein recht gutes Genre.
Auch bey dieser Gelegenheit ist merkwürdig zu betrachten was für Gegenstände sich zu dieser besondern Behandlungsart bequemen. Ich kann Ihnen nicht sagen, um meine obigen Klagelieder zu wiederholen, wie sehr mich jetzt, besonders um der Bildhauer willen, die Mißgriffe im Gegenstand beunruhigen, denn diese Künstler büßen offenbar den Fehler und [280] den Unbegriff der Zeit am schwersten. Sobald ich mit Meyern zusammenkomme und seine Überlegungen, die er mir angekündigt hat, nutzen kann, so will ich gleich mich daran machen und wenigstens die Hauptmomente zusammenschreiben. Denken Sie doch auch indeß immer weiter über die poetischen Formen und Stoffe nach.
Über das theatralisch-komische habe ich auch verschiednemal zu denken Gelegenheit gehabt, das Resultat ist: daß man es nur in einer großen, mehr oder weniger rohen Menschenmasse gewahr werden kann, und daß wir leider ein Kapital dieser Art, womit wir poetisch wuchern könnten, bey uns gar nicht finden. Übrigens hat man vom Kriege hier viel gelitten und leidet immer fort. Wenn die Franzosen dem Lande fünf Millionen abnehmen, so sollen die Kaiserlichen nun schon an sechzehn Millionen verzehrt haben. Da gegen erstaunt man denn freylich, als Fremder, über die ungeheure Fruchtbarkeit dieses Landes und begreift die Möglichkeit solche Lasten zu tragen.
Ihrer und der Ihrigen erinnert man sich mit viel Liebe und Freude, ja ich darf wohl sagen mit Enthusiasmus. Und somit sey Ihnen heute ein Lebewohl gesagt. Cotta hat mich freundlich eingeladen bey ihm zu logiren, ich habe es mit Dank angenommen, da ich bisher, besonders bey dem heißen [281] Wetter, in den Wirthshäusern mehr als auf dem Wege gelitten habe.
Den 4. Sept.
Dieser Brief mag nun endlich abgehen, hoffentlich finde ich einen von Ihnen bey Cotta in Tübingen, wohin ich nun bald zu gelangen gedenke. Hier ist es mir sehr wohl ergangen und ich habe in der Gesellschaft, in welche mich Ihr kleines Blatt eingeführt, mich recht sehr wohl befunden, man hat mich auf alle Weise zu unterhalten, mir alles zu zeigen gesucht und mit mehrere Bekanntschaften gemacht. Wenn Meyer hier wäre, könnte ich mich wohl entschließen noch länger zu bleiben. Es ist natürlich daß ich in der Masse von Kunst und Wissenschaft nun erst manches gewahr werde, das ich noch wohl zu meinem Vortheile brauchen könnte, denn es ist wirklich merkwürdig, was für ein Streben unter den Menschen lebt. Was mich aber besonders erfreut und eigentlich mir einen längern Aufenthalt angenehm macht, ist daß ich in der kurzen Zeit mit denen Personen, die ich öfter gesehen habe, durch Mittheilung der Ideen, wirklich weiter komme, so daß der Umgang für beyde Theile fruchtbar ist. Über einige Hauptpuncte habe ich mich mit Dannecker wirklich verständigt und in einige andere scheint Rapp zu entriren, der eine gar behagliche, heitere und liberale Existenz hat. Noch sind zwar seine Grundsätze die Grundsätze eines Liebhabers, die, wie bekannt, eine ganz [282] eigne, der soliden Kunst nicht eben sehr günstige Tournüre haben, doch fühlt er natürlich und lebhaft und faßt die Motive eines Kunsturtheiles bald, wenn es auch von dem seinigen abweicht. Ich denke übermorgen von hier wegzugehen und hoffe in Tübingen einen Brief von Ihnen zu finden.
Außerdem, daß ich das was mir begegnet so ziemlich fleißig zu den Acten nehme, habe ich verschiednes, das durch Gespräch und Umstände bey mir rege wurde, aufgesetzt, wodurch nach und nach kleine Abhandlungen entstehen, die sich vielleicht zuletzt an einander schließen werden.
Leben Sie recht wohl, grüßen Sie alles und fahren Sie fort mir von Zeit zu Zeit unter Cotta's Einschlag zu schreiben, der von meinem Aufenthalt immer unterrichtet seyn wird.
G.