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An Carl Friedrich Zelter

Wie lange, verehrter Freund, habe ich Ihnen geschwiegen und wie oft habe ich mich Montag und Dienstag zu Ihnen gewünscht! Diesen Winter habe ich fast gar keine Musik vernommen, und ich fühle welch ein schöner Theil des Lebensgenusses mir dadurch abgeht.

November und December gingen vorzüglich hin auf die Vorbereitung unsers litterarischen Feldzugs. Der Januar behandelte mich nicht zum besten, doch hatte ich den Kopf frey und war nicht ganz unthätig.

[76] Im Februar nahm ich den Götz von Berlichingen vor, um ihn zu einem Bissen zusammen zu kneten, den unser Deutsches Publikum allenfalls auf einmal hinunterschluckt. Das ist denn eine böse Operation, wobey man, wie beym Umändern eines alten Hauses, mit kleinen Theilen anfängt und am Ende das Ganze mit schweren Kosten umgekehrt hat, ohne deßhalb ein neues Gebäude zu haben.

Desto mehr aus dem frischen Ganzen ist Schillers Tell, den Sie nun auch bald sehen werden.

Mit mancherley angenehmen Besuchen sind wir denn auch in dieser Zeit beglückt worden. Professor Wolf haben wir bey 14 Tage hier gesehen, Hofrath von Müller wohl eben so lang. Voß war nur einige Tage hier. Frau von Stael beglückt uns nun aber schon seit Weihnachten. Dieser seltnen Frau, die nun bald nach Berlin geht, gebe ich einen Brief an Sie mit. Suchen Sie solche ja gleich auf; es ist sehr leicht mit ihr leben und sie wird gewiß an Ihren musikalischen Leistungen große Freude haben, obgleich Litteratur, Poesie, Philosophie und was sich daran schließt, ihr näher steht als die Künste.

Herr von Müller wird Ihnen das große Siegel gebracht haben, ein kleineres soll auch bald folgen. Wegen des Ringes bin ich noch immer in Verlegenheit. Ich hatte einen schönen gelben Javanischen Karneol nach Dresden geschickt, in Hoffnung einen Ringstein von reizender Farbe zu erhalten, unglücklicherweise [77] fällt er beym Schleifen halb gemein und halb edel aus, ist also nicht zu brauchen. Demohngeachtet sollen Sie gewiß ein solches Andenken von mir erhalten; nur noch ein wenig Geduld mit dem Zaudernden.

Unsere Zeitung nimmt sich wohl genug aus; wenn nur erst die schweren Quadersteine im Grund liegen, wird sich das übrige schon leichter in die Höhe bauen. Möchten Sie, mein Bester, doch irgend Gelegenheit auch über Musik etwas recht fundamentales zu sagen; der Raum dazu soll Ihnen mit Freuden geöffnet seyn. Thun Sie es ja noch diesen Winter, ehe Frühling und Sommer Sie an Ihre Geschäfte ruft.

Mögen Sie mir bald etwas von sich sagen, so würden Sie mir ein großes Vergnügen machen; schon haben wir einander zu lang geschwiegen.

Soviel für heute mit dem herzlichsten Gruß.

W. d. 27. Febr. 1804.

Goethe.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1804. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9ABF-A