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An Johann Heinrich Meyer

Für Ihren freundlichst-nachrichtlichen Brief vom 18 huj. zum schönsten dankend, bestimme mich, einiges nachzuholen mit zugefügter traulicher Bitte.

Da ich von meinen Zuständen unserem edelmüthig-theilnehmenden Fürstenpaare keine klarere Darlegung zu bewirken wüßte als durch Sie, mein Werthester, so gestehe und bekenne Folgendes: Schon drey Jahre war ich den Sommer über in Weimar geblieben, und unter dem was ich durch die Entbehrung gewohnter Weltumsicht vermißte war mir am empfindlichsten, für mineralogische und geognostische Studien aller Nahrung zu entbehren; deshalb hatte ich mir vorgenommen, wenn unsere gnädigsten Herrschaften sämmtlich ihren Sommeraufenthalt erreicht hätten, nach Freyberg zu gehen, um dort in wenigen Wochen alles was mir fehlen konnte nachzuholen.

[222] Die traurige Nachricht, die uns überraschte, trieb mich um so mehr von Weimar hinweg; da ich aber wegen Geschäfts- und gar manchen andern Verhältnissen [mich] nicht alsobald weit entfernen konnte, so erbat ich mir hier eine günstige Aufnahme, um mich zu jenem Schritte indessen vorzubereiten. Nun aber fühl ich, bey ganz leidlichem Befinden, mich dort weder körperlich noch geistig geeignet, in einen fremden Kreis zu treten, dessen Verhältnisse zu benutzen eine lebhaftere Thätigkeit nöthig wäre, als ich gegenwärtig von mir erwarten darf.

Mein Wunsch würde daher im Augenblicke seyn: es möge meinen Fürstlichen Gebietern gefallen, mir zwar zu jener Reise nach Freyberg gnädigsten Urlaub zu gestatten, jedoch wenn ich einen solchen Ausflug nicht wagen dürfte, Erlaubniß zu gewähren, zwischen hier und Jena die nächsten Wochentheilen zu können. Durch Geschäft und Studium würde ich trachten, mir die Tage zu erheitern, und wenn sich in dem lieben Weimar alles ein- und angeordnet haben wird, dahin pflichtgemäß zurückkehren, um an meinen Platz unter günstigen Vorbedeutungen mit neu verliehenen Kräften getrost wieder einzutreten.

Gelegentlichem unterthänigsten Vortrag dieses Anliegen zutraulich überlassend.

Da ich noch einen so schönen Raum vor mir sehe, will ich wenigstens noch vermelden daß heute früh, als ich mich im Hauptschlosse umgesehen, ein liebenswürdiges [223] Kunstbild mir vor die Augen gekommen, von Lory Sohn, eine kleine Landschaft von der größten Schönheit. Sie ist eigenhändig bis an's Ununterscheidbarste hinan radirt und in Aquarell so trefflich ausgemahlt, daß man über die Klarheit der Conception, die Ausführlichkeit und dabey die vollkommenste Haltung ganz in Erstaunen geräth. Ich werde meine Wallfahrt noch oft dahin antreten, es sind noch viele und schätzenswerthe Bilder dieser Art daselbst, dieses aber steht in jedem Sinne oben an.

Der Aufenthalt selbst ist übrigens sehr anmuthig, die Terrassen-Wege gleich nach jedem Regen wieder gehbar und wenn man sich einigermaßen mit dem Wind vertragen kann, fast jederzeit zu genießen.

Soviel denn also mit den besten Wünschen.

treu angehörig

Dornburg den 25. Juli 1828.

J.W. v. Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1828. An Johann Heinrich Meyer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9ACA-0