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An Johann Heinrich Meyer

Ihren dritten Brief von Florenz erhalte ich heute den ersten August, Ihr zweyter war schon vor einiger Zeit angekommen. In den seltsamen Zuständen, in denen wir, nicht leben, sondern schweben, kann mir nichts tröstlicheres seyn als Sie in Florenz zu wissen und ich freue mich in jedem Ihrer Briefe die Bestätigung des herrlichen Kunstgenusses zu vernehmen, dessen Sie sich an diesem Orte erfreuen. Meine einzige Hoffnung Sie noch in Italien zu sehen ruht aus Ihrem Aufenthalt in dieser Stadt. Jetzt, da die Zeit herannahet, in der ich abreisen sollte, fühle ich erst recht lebhaft wie nöthig mir die Cultur war, die mir eine so große und schöne Reife gegeben hätte, alles was ich mir statt derselben vornehmen kann ist ein kümmerliches Wesen und bringt mich nicht vom Flecke und doch muß ich an etwas denken, das mich zu Hause so beschäftigt und mich nicht ganz verfallen läßt.

Denn die Kriegsaspecten sind die wunderlichsten und traurigsten für unser Vaterland. Würzburg ist, da ich dieses schreibe, schon seit einiger Zeit in den[146] Händen der Franzosen so wie auch Stuttgart. Der Zeit und den Umstände nach, müssen sie schon viel weiter vorwärts seyn, von Schweinfurt aus sind ihre Seitenpatrouillen bis gegen den Thüringer Wald gegangen, man erwartet sie in Coburg und noch läßt sich die Grenze nicht denken wo sie stille stehen oder wo sie können aufgehalten werden.


Den 5. August.

Schon den 29. Juli waren die Franzosen in Ulm, wo mögen sie seyn, wenn dieser Brief bey Ihnen eintrifft? und das sey genug von Kriegsnachrichten.

Fangen Sie ja bald irgend ein Werk an! Wenn Sie die Madonna della Seggiola kopiren können, so wäre es äußerst erwünscht. Ich erinnere mich aus keines Bildes das einen so angenehmen Eindruck hinterließe.

Überhaupt wiederhole ich nur: richten Sie sich in Florenz ein, als wenn Sie dort leben und sterben wollten. Die Zeit vergeht bey den würdigsten wie bey den unnützesten Beschäftigungen, in der besten wie in der schlechtsten Gesellschaft. Ich darf jetzt nicht daran denken vom Platze zu gehn und ich will lieber aus der Noth eine Tugend machen, meine Gedanken inwärts richten und ausführen, wozu sich mir Lust und Neigung darbietet. So werden wir ja wohl den Winter überstehen und ich habe keinen andern Wunsch, als Sie mit dem ersten Frühjahr in Florenz zu finden und daselbst mit Ihnen eine Zeit lang ruhig zu leben, durch Sie die sinnlich ästhetische Cultur zu erneuern,[147] und erst wieder ein Mensch zu werden, ehe ich etwas anders beginne. Ich hoffe das Clima soll Ihnen conveniren, vielleicht gehen Sie einige Wintermonate auf Siena oder Pisa, das sey Ihnen alles überlassen, ich will indeß fleißig schreiben. Der seltsamen Massen florentinischer Bauart erinnere ich mich recht wohl. Finden Sie etwa einige dieser Palläste in Kupfer gestochen, so kaufen Sie solche doch ja, damit uns auch diese nicht in unserer kleinen Sammlung fehle.

Die Dresdner Geschmäcke sind nun auch herausgekommen und die illuminirten Kupfer mit außerordentlicher Delicatesse und Reinlichkeit vollendet. Das ganze Werk qualificirt sich Prinzen und Prinzessinnen vorgelegt zu werden, wie es denn auch dem Churfürsten dedicirt ist. Was Schuricht in dieser Art machen kann hat er geleistet und hätte bey einer vernünftigern Idee, und einer weniger freyherrlichen Leitung, noch was besseres und schicklicheres hervorgebracht.

Das Ägyptische Zimmer ist im höchsten Grade abgeschmackt, in den übrigen aber manches gute und brauchbare, durchaus aber besticht einen die verwundersame Reinlichkeit und Zierlichkeit. Der Text sieht aus wie ein altes Heft eines Schulrectors von vor 20 Jahren. Wundershalben lasse ich Ihnen den Anfang des Elogii abschreiben 1, wodurch das Werk [148] im Modejurnal introducirt wird, eigentlich sollte dieses Specimen im Chinesischen Zimmer vorgelesen werden.

Um von dem Etrurischen Wesen etwas zu reden, so sagen Sie mir doch was nennen Sie Griechische Werke späterer Zeit? von denen sich die Graburnen in der Florentinischen Sammlung im Styl nicht unterscheiden.

Auf die Beschreibung der Zimmer der Prinzessin Altieri bin ich voller Verlangen.

Von Gotha höre ich, daß das Römische Manuscript in Venedig angelangt sey, haben Sie denn Ihre Aldobrandinische Hochzeit dabey gelassen?

Es ist ein wunderliches Werk von Diderot Sur la Peinture herausgekommen, das er im Jahr 1765 geschrieben haben mag, wie man aus der Recension der Ausstellung der Pariser Akademie von gedachtem Jahre, die zugleich mit abgedruckt ist, schließen kann. Beyde Schriften sind dieses seltsamen, genialischen Sophisten würdig. Paradoxen, schiefe und abgeschmackte Behauptungen wechseln mit den luminosesten Ideen ab, die tiefsten Blicke in das Wesen der Kunst, in die höchste Pflicht und die eigenste Würde des Künstlers, stehen zwischen trivialen, sentimentalen Anforderungen, so daß man nicht weiß wo einem der Kopf steht. Das Pariser gesellschaftliche Gewäsch, die falschen, lügenhaften Wendungen verführen ihn oft, wider besser Wissen und Gewissen, und aus einmal [149] bringt seine bessere Natur, sein großer Geist wieder durch und er trifft, Schlag auf Schlag, wieder den rechten Fleck. Es wäre eine gar artige und lustige Arbeit wenn man Muth genug hätte das Werk zu übersetzen, und immer mit seinem Texte zu controvertiren, oder ihm Beyfall zu geben, ihn zu erläutern oder erweitern. Vielleicht schicke ich Ihnen wenigstens ein Stückchen aus diese Art behandelt nächstens zu.

Für heute will ich diesen Brief schließen, denn ich habe Ihnen von nichts zu sagen was aussähe wie die Capelle des Masaccio, zu der mein Geist in diesen Augenblicken so vergeblich strebt als die Geister der Christgläubigen nach dem Schauen des neuen Jerusalems.

Von unsern Entstehungen in der Nachbarschaft mag ich Ihnen nichts sagen, das Römische Haus wird mit jedem Tage unrömischer, und die Seite der Luft-und Hühnertreppe immer abscheulicher je fertiger alles darum herum wird. Die Gegenseite nach Belvedere zu sieht indessen, auf oder ab, so ruhig und vernünftig aus, daß man sich wirklich daran erfreuen kann. Das hinterste Zimmer, durch das wir verzweifelten, macht nun, Gott sey Dank, auch die Verzweiflung aller derer die damit zu thun haben. Wenn es fertig ist, so verspreche ich, daß kein Mensch, von welcher Art er auch sey, einen behaglichen Augenblick darinne haben soll.

[150] Leben Sie recht wohl; schreiben Sie mir oft! unsere Correspondenz scheint Glück zu haben, denn auch Ihre Briefe kommen mir zur rechten Zeit. Ehestens wird eine große Litaney Fragen über Florenz und was dem an- und abhängig erfolgen. Besuchen Sie ja Fiesole sobald als möglich und geben mir eine Schilderung. Den 8. August 1796.

Die Franzosen sind in Nürnberg. Dominus vobiscum in Saecula Saeculorum. Amen!


Note:

1 ist unterblieben.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1796. An Johann Heinrich Meyer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9AD1-B