8/2517.

An den Herzog Carl August

Rom. d. 3. Nov.

Endlich kann ich den Mund aufthun und Sie mit Freuden begrüßen, verzeihen Sie das Geheimniß [39] und die gleichsam unterirdische Reise hierher. Kaum wagte ich mir selbst zu sagen wohin ich ging, selbst unterwegs fürchtete ich noch und nur unter der Porta del Popolo war ich mir gewiß Rom zu haben.

Und laßen Sie mich nun auch sagen daß ich tausendmal, ja beständig an Sie dencke, in der Nähe der Gegenstände, die ich ohne Sie zu sehen niemals glaubte. Nur da ich Sie mit Leib und Seele in Norden gefesselt, alle Anmuthung nach diesen Gegenden verschwunden sah, konnte ich mich entschließen einen langen einsamen Weg zu machen und die Gegenstände zu suchen, nach denen mich ein unwiderstehliches Bedürfniß hinzog. Ja die letzten Jahre wurd es eine Art von Kranckheit, von der mich nur der Anblick und die Gegenwart heilen konnte. Jetzt darf ich es gestehen Zuletzt durft ich kein Lateinisch Buch mehr ansehn, keine Zeichnung einer italiänischen Gegend. Die Begierde dieses Land zu sehn war überreif, da sie befriedigt ist, werden mir Freunde und Vaterland erst wieder recht aus dem Grunde lieb, und die Rückkehr wünschenswerth. Wird es dann in der Folge-Zeit möglich, es auch mit Ihnen zu sehen und Ihnen durch die Kenntniße die ich jetzt erwerbe, hier, und indeß zu Hause, nützlich zu werden; so bleibt mir fast kein Wunsch übrig.

Die Dauer meines gegenwärtigen Aufenthalts wird von Ihren Wincken, von den Nachrichten von Hause abhängen, bin ich einige Zeit entbehrlich; so laßen[40] Sie mich das gut vollenden was gut angefangen ist und was jetzt mit Einstimmung des Himmels gethan scheint.

Aber zugleich bitte ich: schreiben Sie mir sobald als möglich, von Sich, den Ihrigen und was vorgeht und wie es in Norden aussieht. Seit dem Halben October bin ich zurück, hier hab ich noch an keine Zeitung dencken können. Denn auch auf der Reise hab ich fast zuviel aufgepackt, zuviel angegriffen, daß es mir zuletzt lästig ward.

In Vicenz hab ich mich an den Gebäuden des Palladio höchlich geweidet und mein Auge geübt. Seine Vier Bücher der Baukunst, ein köstliches Werck, und den Vitruv des Galiani hab ich mir angeschafft und schon fleißig studirt, hier werd ich in Gesellschafft eines guten Architeckten, die Reste der alten, die Gebäude der neuen Zeit besehen und nicht allein meinen Geschmack bilden, sondern auch im Mechanischen mir Kenntniße erwerben, denn eins kann ohne das andre nicht bestehen. Haben Sie die Güte mir zu schreiben: wieviel Bände sie von denen in Vicenz herausgekommnen Gebäuden des Palladio besitzen? ich glaube zwey; Es sind ihrer aber jetzt fünfe die man alle haben muß. Wenn ich weiß was fehlt will ich die andern zu kaufen suchen, sie sind jetzt schon rar geworden.

Gemälde und Statuen zu sehen hilft mir des Hofrath Reifenstein lange Pracktick und Tischbeins Künstler Auge. und ich sehe denn nur so hin.

[41] Überhaupt bleibt nun meinen Wünschen nichts übrig als daß Sie mir Ihre Liebe erhalten, damit ich zurückkehrend eines neuen Lebens, das ich in der Fremde erst schätzen lerne, mit Ihnen genießen möge. Leben Sie recht wohl. Aus Mangel der Zeit und damit der Posttag nicht vorbeygehe hab ich beyliegendes Cirkularschreiben verfaßt und bitte es denen am Ende benannten Personen mitzutheilen.

G.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Rechtsinhaber*in
TextGrid

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1786 [2]. An den Herzog Carl August. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9ADD-4