27/7453.

An Johann Friedrich Heinrich Schlosser

[Concept.]

Ihr gehaltreiches Packet brachte mir Freude, indem es mich Ihres Andenkens versicherte, aber Betrübniß durch den Inhalt: denn verderbender bürgerlicher Zwist könnte nicht schrecklicher dargestellt werden. Mir wenigstens war dabey ängstlich zu Muthe, ja ich würde in einer solchen Lage verzweifeln. Beurtheilen[83] kann ich nicht ob es unvermeidliche Nothwendigkeit war Herrn von Guaita auf eine unwiderrufliche Weise anzugreifen, in ähnlichen Verhältnissen hab ich mich auch gewehrt, aber innerhalb der Verhältnisse selbst, und es wäre mir unmöglich gewesen, das Publicum, das nie richten kann noch wird, dergestalt als Instanz zu ehren.

Wenn ich mir denke, daß Sie mit diesem angesehenen bedeutenden Manne zeitlebens in Einer Stadt wohnen, öfters in Einem Collegium, vielleicht gar, als Rathsherr, in Einer Reihe mit ihm sitzen sollen, nachdem Sie ihm seine Herkunft vorgeworfen, seine Tüchtigkeit zu einem Geschäft, zu dem er sich erboten, öffentlich bezweifelt und nicht allein ihn, sondern auch seine Freunde, Verwandte, Verbündete Sich zu Todfeinden gemacht haben, ohne vielleicht von dem gleichgültigen und schwankenden Publicum gebilligt zu werden; so stellt sich mir Ihre und Ihres würdigen Bruders Lage so schrecklich vor, daß ich mich darüber kaum beruhigen kann. Lassen sich diese, vielleicht hypochondrischen Ansichten zerstreuen, können Sie mich auf einen mehr heitern Standpunkt setzen; so werden Sie mir eine wahre Liebe erzeigen.

Für den Augenblick aber trifft mich dieser bürgerliche Zwist, so wie die übrigen in meiner theuern Vaterstadt leider obwaltenden, so hart und bedenklich, daß ich meinen Weg nach Baden am Rhein über Würzburg zu nehmen entschlossen bin, um nicht da,[84] wo ich so gern friedlich eingekehrt wäre, auf Streit und Zersplitterung zu treffen.

Nicht wenig wird es mich bey meiner Badecur erfreuen und erquicken, wenn ich vernehme daß Ihre und Ihres werthen heran Bruders Zustände nicht so bedenklich sind, als ich mir sie vorstelle. Erhalten Sie mir Ihre Freundschaft, auf die ich, nach dem großen Verluste, der mich betraf, als auf ein wichtiges Gut zu zählen Ursache habe.

Weimar d. 13. July 1816.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1816. An Johann Friedrich Heinrich Schlosser. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9AEC-2