9/2910.

An den Herzog Carl August

Wenn die Alten ihre Briefe mit den Worten: si vales bene est, ego valeo, anzufangen pflegten; so thäte ich wohl, auch eine solenne Formel über den Eingang meiner Briefe zu setzen die eine Entschuldigung [299] meines Stillschweigens ausdrückte zum Beyspiel: ignoscas tarde scribenti oder der Kürze wegen i. t. s. welche Abbreviatur dann mannigfaltig ausgelegt werden könnte. Leider muß ich gestehen daß erst auf Voigts Anregung ich mich zu diesem Brief niedersetze. Die Gräfinn Stollberg, welche sich jetzt hier befindet, schreibt einer Freundinn seit 24 Jahren alle Woche zweymal, die Sammlung dieser Briefe mag eine lesenswerthe Welt und Familien Chronik enthalten. Diese Correspondenz Tugend scheint aber noch weiter von mir entfernt als die christlichen Tugenden mit deren Vorstellung Meyer sich diese Zeit beschäftigt hat.

Da ich wahrscheinlich der letzte von Ihren Weimarischen Correspondenten bin, so habe ich desto eher eine Entschuldigung wenn ich nichts von dem sage was seit Ihrer Abreise geschehen ist denn Sie wissen gewiß schon alles. Und was mich selbst betrift, so geht es mit mir so einförmig und sachte daß man wie an einem Stundenzeiger nicht sieht daß ich mich bewege und es Zeit braucht nur zu bemercken daß ich mich bewegt habe.

In Jena, wo ich mit Voigt sehr angenehme Feyertage zugebracht habe, konnte ich die Convictorien Sache einigermaßen vorbereiten, das beste was ich von dieser Expedition zurückgebracht habe ist eine Idee die aus der Betrachtung des Locals entsprang, nämlich:

[300] Sämmtliche Natural Einnahme des Convickts sammt allen Gerechtigkeiten, Befreyungen, der Wohnung, der Küche, dem Saal, zugleich mit dem Rechte einen Mittags und Abendtisch zu halten, jedoch ohne Zwangsgerechtigkeit, in Einer Masse zu verpachten.

Wie sehr dadurch die Operation erleichtert und das veränderte Institut gesichert werde fällt in die Augen. Ich habe schon alles in einem Pr. M. auseinander gesetzt und die Sache wird bald reif seyn. Nur daß biß dahin die Besetzung der Inspektorstelle aufgeschoben werde. Es sind nur noch verschiedne Auswürfe nöthig, dann will ich wieder nach Jena gehn mit einer akademischen Deputation den Plan nochmals durchgehn und sodann den Bericht befördern.

Voigt sagt mir daß Sie nicht abgeneigt seyen für das botanische Institut bald etwas zu thun. Es würde dadurch ein fast allgemein gewordner Wunsch der Academiker erfüllt werden.

Meyer ist fleißig, er hat meine kleine Familie (welches nicht eben eine heilige Familie ist) portraitirt um sich auch hierin zu prüfen. Die jungen Leute fassen nach und nach Zutrauen zu ihm, welches in dieser dünkelvollen Welt nicht sogleich zu erwarten ist.

Das Licht und Farbenwesen verschlingt immer mehr meine Gedankensfähigkeit und ich darf mich wohl von dieser Seite ein Kind des Lichts nennen. Leben Sie recht wohl, es gerathe Ihnen was Sie [301] unternehmen und hören Sie nicht auf mich mit meinem Licht und Schattenseiten zu lieben.

W. d. 18. A. 1792.

G.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1792. An den Herzog Carl August. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9B11-4