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An Johann August Sack

Ew. Hochwohlgeboren

zutrauliches, für mich so ehrenvolles Schreiben hat mir die angenehme Empfindung gegeben, daß meine Versäumniß, Hochdenenselben vorigen Herbst nicht aufgewartet zu haben, hierdurch zum Theil wenigstens ausgeglichen wird. So wie denn auch des Herrn Staats-Minister von Stein Excellenz, durch Empfehlung meiner vorhabenden Arbeit, zu so vielem Guten, das ich diesem trefflichen Manne schuldig geworden, noch ein neues und so vorzügliches hinzuthun.

Da die Sache von großer Wichtigkeit ist, und eine Erklärung über dieselbe viele Schwierigkeiten hat; so sey es erlaubt mich aphoristisch auszudrücken, vorher [218] aber die Entstehung jener Druckschrift, deren Ausgabe leider verspätet worden, mit Wenigem anzugeben.

Bey meinem zweymaligen Aufenthalt am Mayn und Rhein, in beyden vergangenen Sommern, war mir angelegen, nachdem ich meine vaterländische Gegend so lange nicht gesehen, zu erfahren, was nach so vielem Mißgeschick sich daselbst, bezüglich auf Kunst, Alterthum und Wissenschaft befinde? wie man es zu erhalten, zu vermehren, zu ordnen, zu beleben und zu benutzen gedenke?

Ich besah die Gegenstände, vernahm die Wünsche, die Hoffnungen, die Vorsätze der Einzelnen, so wie ganzer Gesellschaften, und da ich meine Gedanken dagegen eröffnete, forderte man mich auf, das Besprochene niederzuschreiben, um vielleicht eine öffentliche Übersicht des Ganzen zu geben und zu Privatunterhandlungen gleichsam einen Text zu liefern. Da ich aber auf gedachter Fahrt Ihro Königl. Majestät Staaten nur im Fluge berührte; so ist leicht zu ermessen daß dieser Theil des Aufsatzes der magerste und unzulänglichste seyn werde, wenn dasjenige, was über andere Ortschaften und Gegenden gesagt wird, vielleicht befriedigender ausfallen möchte.

Bey allem konnte ich jedoch nur darauf ausgehen zu bemerken, was vorhanden und was für das Vorhandene allenfalls zu wünschen sey; das Wie hingegen habe ich von meinen Betrachtungen ausgeschlossen, weil dieses nur von denjenigen beurtheilt werden[219] kann, welchen die Ausführung der Sachen, unter gegebenen Bedingungen der Zeit und Umstände, anvertraut ist.

Die Rhein- und Mayngegenden, im breitesten Sinne genommen, zeigen, so wie das übrige Deutschland, ausgesäte größere und kleinere Lichtpuncte.

Die Natur der nebeneinander gelagerten Staaten bringt mit sich, daß wir niemals zu denen Vortheilen gelangen können, deren sich die Pariser, zwar mit Unrecht, aber doch zu eigenem und zum Vortheil der übrigen gebildeten Welt erfreuten. Alles Denkbare, was der mannigfaltig Thätige zu seinen Zwecken bedürfen mag, fand sich beysammen, so daß Männer wie Humboldt und Gall, wenn sie sich selber nicht verkürzen wollten, einen solchen Aufenthalt nicht verlassen durften.

Dieser Körper ist auseinandergefallen, und wenn der deutsche Freund der Kunst und Wissenschaft sich umsieht, wo er irgend ähnliche Vortheile finden könnte; so wird er sich als einen Reisenden betrachten müssen, da er denn freylich die größten Schätze von Wissenschaft und Kunst nach und nach wird aufsuchen und benutzen können.

Die Hauptrichtung meines kleinen Aufsatzes geht deshalb dahin, einem jeden Orte das Seinige zu lassen und zu gönnen, das Vorhandene hingegen allgemeiner bekannt zu machen, damit man leichter beurtheile, wie [220] es erhalten und belebt und von Einheimischen und Fremden benutzt werden könne.

Wenn nun aber das Vorgesagte hauptsächlich von demjenigen gilt, was wirklich schon besteht, so findet bey dem, was erst eingerichtet werden soll, eine neue Betrachtung statt.

Die Bildung nämlich unserer Zeit steht so hoch, daß weder die Wissenschaft der Kunst, noch diese jener entbehren kann. Seit Winckelmanns und seiner Nachfolger Bemühungen ist Philologie ohne Kunstbegriff nur einäugig. Alle mehr oder weniger gebildeten Völker hatten eine zweyte Natur durch Künste um sich erschaffen, die aus Überlieferung, Nationalcharakter und klimatischem Einfluß hervorwuchs, deswegen uns alle alterthümlichen Reste, von Götterstatuen bis zu Scherben und Ziegeln herab, respectabel und belehrend bleiben.

Und so fördern die verschiedenen Zweige der Wissenschaften einander, wie denn auch die verschiedenen Zweige der Kunst einander fördern. Mit dem Bildhauer sinkt der Medailleur, der Kupferstecher mit dem Zeichner. Ein Kenner und Liebhaber der Naturgeschichte kann das glücklich nachahmende Talent sorgfältiger Künstler nicht entbehren, und so geht es durch alles durch, bis Wissenschaft und Kunst endlich Technik und Handwerk zu Hülfe rufen und auch diese veredeln.

Wer sich ein solches Ganze lebendig denkt, wird es an Einen großen Ort, wo alle Glieder sich unmittelbar [221] berühren, hinwünschen: denn gerade diese Berührung ist es, woraus das wechselseitige Leben und eine Förderniß entspringt, welche sonst auf keine Weise denkbar ist.

In diesem Sinne also mußte der Wunsch, diese Totalität in Cöln zu sehen, einem Fremden nicht tadelnswerth erscheinen, wenn er auch gleich, bey Unkenntniß der besondern Umstände, denselben nur problematisch auszusprechen wagte. In demselben Fall befinde ich mich und so habe ich mich auch in meiner Druckschrift gehalten und die Frage zwischen Bonn und Cöln schweben lassen.

Eine neue, mir bisher unbekannt gebliebene Eintheilung der Provinzen aber scheint die Vertheilung der verschiedenen Anstalten räthlicher zu machen. Ew. Hochwohlgeb. haben sich hierüber deutlich ausgedrückt und ich glaube auch die hierzu veranlassenden Gründe einigermaßen einzusehen. Wie sollte auch derjenige nicht seine Gründe wohl überdacht haben, der an Ort und Stelle schon längst vorläufig wirksam, einer von ihm einzuleitenden neuen Einrichtung den besten Fortgang zu sichern wünscht.

Es sey mir um der beliebten Kürze willen ein Gleichniß erlaubt: Man hat in dem Raume zwischen Mars und Jupiter längst einen großen, allenfalls mit Satelliten umgebenen Planeten gesucht, und hat endlich an der Stelle vier kleine gefunden. So werden nun auch nach gedachten Vorschlägen die getheilten [222] Anstalten sich um die Centralsonne des wissenschaftlichen Vereins bewegen. Alles an einem Orte vereinet würde durch Realität und Lebenskraft der Oberaufsicht sowohl das Überschauen als das Einwirken erleichtern, anstatt daß sie, in dem gegenwärtigen Falle, ein ideeller Punct wird, der sich mit mächtigen Attractions- und Repulsionskräften zu waffnen hat, wenn er die sämmtlichen Bahnen um sich her und unter ihnen selbst in regelmäßiger Bewegung erhalten will.

Ich sage dieß nicht, um gegen die vorgeschlagene Einrichtung zu argumentiren, sondern nur auszusprechen, was gewiß schon bedacht ist, daß nämlich jeder von diesen Fällen von obenherein eine andere Behandlung bedürfe.

Eine Besorgniß jedoch muß ich noch ausprechen, daß Deutschland, so groß es ist, kaum so viele mobile Individuen liefern werde, welche sich qualificiren eine große Gesammt-Anstalt am Rhein wahrhaft zu beleben, wobey doch mancher in verschiedene Fächer eingreifen und durch ein mehrfaches Talent nützen könne. Zu vertheilen Anstalten aber ist ein weit größeres Personal, das zugleich mehr Fähigkeit, Tüchtigkeit und guten Willen hat, erforderlich. Anderer ernsteren und anhaltenden Bemühungen der Vorgesetzten nicht zu gedenken, welche nöthig seyn werden, um die schon an und für sich getrennten und nun auch durch Ortsentfernung geschiedenen Elemente in einer wechselseitigen, wohlwollend verbundenen Thätigkeit zu erhalten.

[223] Daß dieses kräftigen, energischen, erfahrenen und geprüften und mit hinlänglicher Autorität versehenen Männern, die sich zum Mittelpunct constituiren, zu leisten möglich sey, will ich nicht in Zweifel ziehen; auch spreche ich hier nur als einer der sich einen Augenblick anmaßt, über das Wie seine Bedenkliechkeiten zu eröffnen.

Sobald mein Aufsatz oder wenigstens dessen erstes Heft gedruckt ist, nehme mir die Freyheit solches zu übersenden. Es kann nichts die königlichen Provinzen Betreffendes enthalten, was Ew. Hochwohlgeboren nicht schon bekannt wäre. Wie man aber die Städte weiter aufwärts zu einem Verein einladen und sie dafür interessiren könne, hierüber werden vielleicht einige brauchbare Notizen hervorgehen.

Der ich, mit nochmaliger aufrichtiger Anerkennung des Werthes eines so schätzbaren Zutrauens, um Verzeihung bitte der flüchtig geäußerten Gedanken. Dero Schreiben ist mir erst am zwölften Tage zugekommen, deshalb ich gegenwärtiges beeile. Sollte mir etwas Weiteres beygehen, das ich der Mittheilung werth achten dürfte, so wird mir die Erlaubniß solches nachzubringen gefällig gestattet seyn. Wie ich denn mit vollkommenster Hochachtung die Ehre habe mich fortdauerndem Zutrauen angelegentlichst zu empfehlen

Ew. Hochwohlgeb.

gehorsamster Diener

Weimar den 15. Januar 1816.

J. W. v. Goethe. [224]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1816. An Johann August Sack. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9B12-2