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An Charlotte von Stein

Payerne Peterlingen d. 20. Oktbr. 79 Abends.

Nur wenig Worte dass ich nicht ganz aus dem Faden komme, und Sie uns folgen können. Heut früh sind wir von Bern ab, nachdem wir uns was möglich war umgesehen und auch einige interessante Leute kennen lernen. In Murten zu Mittage. In Avanche einen Fusboden Mosaique von der Römer Zeit gesehen, schlecht erhalten, und geht täglich mehr zu Grunde, dass es Jammer ist. Mit schönem Mondschein hier angelangt. Auch kan ich diesen Brief wieder mit Preis der Witterung anfangen. Vom Docktor in Langnau werd ich manches erzählen. Er geht für Alter sehr zusammen und war auch nicht guter Humor des Tags, er hatte Honig gegessen den er nicht verdauen kan, und seine Frau war abwesend, doch ist sein Auge das gegenwärtigste das ich glaube gesehn zu haben. Blau, offen, vorstehend, ohne Anstrengung [90] beobachtend pp. Vom Grabmal der Pfarren zu Hindelbanck zu hören werden Sie Geduld haben müssen, denn ich habe mancherley davon, darüber und dabey vorzubringen. Es ist ein Text worüber sich ein lang Capitel lesen lässt. Ich wünschte gleich iezt alles aufschreiben zu können. Ich hab soviel davon gehört und alles verbertucht pour ainsi dire. Man spricht mit einem allzeit fertigen Enthusiasmus von solchen Dingen, und niemand steht drauf was hat der Künstler gemacht, was hat er machen wollen.

Moudon d. 21. Wir machen kleine Tagreisen wie es neugierigen Reisenden ziemt. Den Morgen haben wir zugebracht wieder ein Mosaisches Pflaster bei Chaire gegen den Neustädter See zu besuchen. Es ist ziemlich erhalten geht aber auch nach und nach zu Grunde. Die Schweizer tracktiren so etwas wie die Schweine. Der vorige Landvogt fand es erst vor zwey Jahren, der iezzige wird sich nicht drum kümmern, besonders da es in einem benachbaarten Amt liegt und er nur die Schlüssel dazu hat Ich schrieb ihm ein anonym billet, ihm zu berichten dass das Mäuergen umher einzufallen anfinge, und bat ihn es wieder herstellen zu lassen. Doch hilft auch das nichts wenn ers auch thut ppp. Es stellt den Orpheus vor in einem Rund, und in den Feldern umher die Thiere, es ist mittelmäsige Arbeit. Dagegen das gestrige trefflich muss gewesen seyn, aus einem einzigen Kopf zu schliesen[91] den wir von allem noch finden konnten der aber auch bald wird zerstört seyn. Ganz herrlich aber war die Zeichnung von einem die wir gestern sahen, das aber schon lange aus Muthwill von Bauern bey nachtzeit ist ruinirt worden. Meine ganz immer gleiche herzliche Freude und Liebe zu der bildenden Kunst macht mir so was noch viel auffallender und unerträglicher.

Übrigens bin ich ruhig und recht wohl in meiner Seele. So bald eine ewige Abwechslung tausend manigfaltige Stückgen auf meinem Psalter spielt bin ich vergnügt. Dem Herzog bekommts auch recht sehr, ich hoffe ihr sollt des alle geniessen.

Lausanne d. 23ten. Wenn es was zu schreiben giebt merck ich wohl wird nichts geschrieben und von alten Fusboden die Sie nichts angehn unterhalt ich Sie weitläufig. Gestern den 22ten kamen wir gegen Mittag hier an und sahen den Genfer See, den Meister von allen Seen die wir bisher gesehen haben, wovon doch ieder sein eignes hat. Lausanne liegt allerliebst, ist aber ein leidig Nest, Lusthäuser sind umher von trefflichen Aussichten, auch Spaziergänge. Wir gingen Nachmittag Spazieren und sahen uns satt. Abends ging ich zu Mad. Branconi. Sie kommt mir so schön und angenehm vor dass ich mich etlichemal in ihrer Gegenwart stille fragte, obs auch wahr seyn möchte dass sie so schön sey. Einen Geist! ein Leben! einen Offenmuth! dass man eben nicht weis woran man ist.

[92] d. 23. früh den schönsten Morgen. Jeder Tag ist so schön dass man glaubt er sey schöner als der Vorhergehende. Wir fuhren nach Beway, ich konnte mich der Trähnen nicht enthalten, wenn ich nach Melleraye hinüber sahe und den dent de Chamant und die ganze Pläzze vor mir hatte, der die der ewig einsame Rousseau mit empfindenden Wesen bevölckerte. Der Genfer See wird hier von den Walliser und Savoyer Gebürgen eingeschlossen die steil herab gehn, die Einsicht ins Wallis ist ahndungsvoll und die Schweizerseite mit Weinbergen sorgfältig und fröhlig genuzt.

Wir badeten im See, assen zu Mittag fuhren nach Hause, puzten uns, fuhren zur Herzogin von Curland, strichen uns balde, und mich führte der Geist wieder zur M. Branconi. Eigentlich darf ich sagen, sie lies mir durch Mathäi der bey ihrem Sohn ist gar artig sagen wenn ich noch eine Stunde sie sehen könnte würd es ihr recht seyn. Ich blieb zum Essen. Am Ende ist von ihr zu sagen was Ulyff von den Felsen der Scylla erzählt. »Unverlezt die Flügel streicht kein Vogel vorbey, auch die schnelle Taube nicht die dem Jovi Ambrosia bringt, er muss sich für iedesmal andrer bedienen.« Pour la colombe du jour elle a echappé belle doch mag er sich für das nächstemal andrer bedienen.

d. 24. Octbr. a la Vallee de Joux. Der heutige Tag war wieder sehr glücklich. Wir ritten früh halb [93] achte mit schönem Wetter aus, doch war ich schon seit gestern Abend in stillen Sorgen, der Wind hatte gewendet und kam von Genv das hier Regen deutet, die Sonne stach, die Nebel logen vom Jura nach den Savoyer und Wallis Bergen, wir kamen nach eilf auf Rolles. Der See war unendlich schön, die Gegend die la Cote heisst ist fast vom See an bis hoch an die Berge hinauf mit Reben bepflanzt, mit unzähligen Häusern besezt und ist iezt voll von Menschen, es geht mit der Weinlese zu Ende. In Rolle nahm ich ein Miethpferd auf Mont zu Mercks Schwiegereltern zu reiten das ein halb stündgen aufwärts liegt. Dort blieb ich zu Tische, und fing ohngefähr an vom Lac de Joux zu reden. Merck hatte uns diese Tour sehr empfolen von Lausanne aus zu machen, die bedeckten Berge hatten uns den Gedancken verlöscht. Man pries die Gegend sehr und erzählte dass eigentlich der beste Weeg von Rolle hinauf gehe, eine Chaussee bis zu oberst des Bergs, und dass wir zu Nacht besonders bey Mondschein oben seyn könnten. Ich schrieb dem Herzog ein Billet, und kam mit Merckens Schwager der diese Reviere als Oberforstmeister unter sich hat, und alles wohl kennt, den Herzog und Wedeln abzuholen. Wir machten uns mit den Pferden, erstlich Mont hinan, und hatten steigend die herrlichste Aussicht auf den Genfer See die Savoyer und Wallis Gebürge hinter uns konnten Lausanne erkennen, und durch einen leichten Nebel auch die Gegend von Genv.

[94] Grad übersahen wir den Mont blanc der über alle Gebürge des Faucigny hervorsieht. Die Sonne ging, klar unter es war ein so groser Anblick, dass ein menschlich Auge nicht hinreicht ihn zu sehen. Der fast volle Mond kam herauf, und wir höher; durch Tannen Wälder stiegen wir immer den Jura hinan, und sahen den See im Duft und den Wiederschein des Mondes drinne. es wurde immer heller. Der Weeg ist eine bequeme Chaussee, nur angelegt um das Holz aus den Gebürgen bequemer ins Land zu bringen. Wir waren wohl drey Stunden gestiegen, als es hinterwärts sachte wieder hinab zu gehen anfing und in einer Stunde zeit waren wir wieder im Thal de Joux das also hoch auf dem Berge liegt einen schönen See hat und wo in zerstreuten Häusern bey 2000 Seelen wohnen. Davon haben wir alle nichts gesehen denn der Nebel lag im Thal wie wir herunter kamen der Mond schien hoch drauf, wir sahen einen Mondbogen im Nebel ganz geformt. Breiter als der Regenbogen aber niedrig weil der Mond hoch stand. nun sind wir in einem recht guten Wirthshaus wo die Menschen aussehn wie im flachen Land, wir haben sogar hübsch gepuzte Misels zum Besuch angetroffen. Um halb 10 Abends.

a la Vallee de Joux. d. 25. Abends 9.

Wir haben heute einen delizieusen Tag gehabt, die Tour vom Thal zu machen, auf die Dent de Vaulion zu steigen und uns von da in alle Welt [95] umzusehen. Leider will mir's nicht aus der Feder eine Beschreibung zu machen so sehr es verdiente. Gute Nacht. Mündlich ein mehres.

Ich hab es doch noch über mich vermocht geschwind eine leichte Skizze vom heutigen Tag auf ein ander Papier zu werfen, das ich aber Philippen wenn wir nach Genv kommen abdicktiren muss. Nur einen Brief vom Ende Sept. hab ich von Ihnen. In einem ganzen Monat nichts von Ihnen gehört. Wenn ich in Genv nichts finde wer weis was dann.

d. 26ten Oktbr. Nion Abends achte. Vom Camin wo ich den Glanz des Monds über den ganzen See gar herrlich sehn kan. Auch diesen Tag hat uns das Glück wie verdorbne Kinder behandelt, alle unsre Wünsche erfüllt, und auch unsre Nachlässigkeiten zum besten gekehrt. Ich will geschwind das mögliche zum gestrigen zusammenkrizzeln. Freylich wenn man den ganzen Tag genossen hat fällt Abends die Wiederholung schweer. Adieu! Ich verlasse Sie, um Sie auf einem andren Blat wieder zu suchen.

Gegen neun. Auch soviel Geduld hab ich gefunden um die äussersten Linien wenigstens unsrer Schicksaale zu ziehen.

Mit dem Gestrigen will ich so bald wir nach Genv morgen kommen auch dies dicktiren. Die Nacht ist klar, ruhig, der See still und der Breite Wiederschein des Monds drinn unendlich schön.

[96] Nion d. 27. Morgends gegen achte. Nach sechsen war heut der See und Himmel gar lieblich in vielen wechselnden Farben der aufsteigenden Sonne sie selbst blieb hinter Wolcken den Bergen gegen über, und nun liegt die ganze Gegend unter Nebel. Wir sind nun unter eben dem Vorhang wieder eingewickelt auf den wir gestern aus stolzer Klarheit hinunter sahen. Der Herzog pflegt der Rute noch, in wenig Stunden sind wir in Genf.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1779. An Charlotte von Stein. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9B18-5