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An Johann Friedrich Heinrich Schlosser

Nach so langer Zeit Ihre Hand, mein wethester, einmal wiederzusehen machte mir den angenehmsten Eindruck, verzeihen Sie wenn wir alle bisher geschwiegen haben. Ihre drey freundlichen Schreiben sind nach in Weimar nun aber auch bey mir angekommen und ich eile davon Nachricht zu geben. [362] Von mir vorerst soviel! Ich hatte mich zu meiner gewöhnlichen Badereise völlig verbreitet, zauderte jedoch wegen der Zeitumstände von einem Tag zum andern, bis mich eine Vorahndung meiner Frau d. 17ten Apr. aus Weimar trieb. D. 24ten sah ich die beyden Majestäten in Dresden einreiten und vernahm zugleich höchstbeunruhigende Berichte was sich den 18ten sollte zugetragen haben. D. 26ten war ich in Teplitz d. 6. May wegen Weimar beunruhigt. Nun zog sich der Krieg in die Nähe. Einige wollten Kanonendonner gehört haben, alle sahen aber Nachts die Feuerzeichen in den Wolcken. Russische und Preußische Blessirte bestätigten das Vorgegangne. Dencken Sie Sich die Bewegung die unter einer Masse von Leipziger und Dresdner Emigrirten, besonders aber den vielen Russen entstand, die hier einen ruhigen Wohnort für längere Zeit gehofft hatten. Ankommende neue Flüchtlinge setzten alles in Bewegung, viele der früheren entfernten sich tiefer ins Land und zu aller dieser äusseren Noth noch die innere des Partheysinns! Es war eine peinliche Lage. Und dazu noch die stündliche Furcht es könne sich der Krieg über die Gränze von Böhmen herüberspielen, wenigstens könnten die Massenweis ankommenden Deserteurs Unfug treiben und was sonst noch von allen Seiten her Wahres und Falsches zudrang. Vergleichen Sie nun dieses mit dem was Ihnen die öffentlichen Blätter brachten und so werden Sie Sich die Lage Ihres Freundes vergegenwärtigen können.

[363] Glücklicherweise eröffnete sich die Communication nach Hause gar bald und ich erfuhr daß alles wohl sey, und keine andre Beschwerde als was Truppen-Märsche mit sich führen sich eingefunden habe, welches ich denn danckbarlich anerkenne und, durch den Stillstand einigermaßen beruhigt, hier noch einige Zeitlang auszuhalten gedencke.

Für die mitgetheilten Notizen dancke zum allerschönsten. Man sieht daraus wie schwer es fällt von der nächstvergangenen Zeit bestimmte Data zu erhalten. Der Tathsachen erinnere ich mich recht gut, aber es hält schwer sie chronologisch zu rangiren. Im Leben greift so vieles übereinander, was in der Geschichte sich nur hintereinander darstellen läßt und da wills nicht immer recht passen.

Das Contributionsblat habe mit der vorjährigen Summe ausgefüllt, jedoch Ihrem Wincke gemäß ein Blättchen beygelegt, ob Sie vielleicht davon Gebrauch machen wollen, damit man in der Zukunft mehrere Schonung erlebte.

Eine Assignation auf 300 f. habe an Weinhändler Raman in Erfurt ausgestellt.

Den lieben Rheinstrom, besonders die Bergstraße möchte ich wohl einmal wiedersehen, ein wildes Ereigniß nach dem andern verbietet uns aber solche Genüsse. Gedencken Sie meiner in den vaterländischen Gegenden und grüßen Boisseree gelegentl. Ihrem Herrn Bruder, den gesammten lieben Ihrigen empfehle ich [364] mich zum Besten, und freue mich Ihres Wohlseyns. Auch mir schlägt das Bad gut an. Mögen Sie mich mit einem brieflichen Wort erfreuen, so bitte es nach Weimar zu adressieren. Das herzlichste Lebewohl!

Tepliz d. 11. Juni 1813.

Goethe.


N.S.

Auf dem zurückkehrenden Blat habe meinen Contr. Beytrag mit 56 f. 15 Kr. notirt, gewissenhaft gegen die Schulden-Tilgungs-Caffe nicht gegen meine eigne. Ew. Wohlgeb. ist am besten bewußt daß gleich Anfangs 20/m. f. nur der Nahmenwerth meines Vermögens waren und daß die Zeitumstände es um ein Gutes vermindert haben. Es dürfte also wohl nicht auffallen, wenn man künftig auch einen verminderten Beytrag einzeichnete.

Tepliz d. 11. Juni 1813.

Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1813. An Johann Friedrich Heinrich Schlosser. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9B60-3