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An Johann Jacob von Willemer

Wenn ich dießmal, und zwar schon seit drey Monaten, in das jenaische Bergthal aus meinen Fenstern hinausblicke und einer wirklich herrlichen Vegetation täglich genieße, so darf ich jene liebliche Zeichnung, von der famosen Mühle aus, die ich manchen hiesigen Freunden an die Wand gestiftet, nur zufällig wieder in's Auge fassen, so wird mir denn noch der Unterschied zwischen dort und hier gar zu auffallend und meine Sehnsucht nach den lieben Freunden wird einmal über das andere aufgeregt. Nun kommen süße Einladungen, Nachrichten von körperlichen Übeln, bey denen man, wo nicht als heilender Arzt, doch als theilnehmender Freund zu wirken wünschte. Dann hören wir von der Gegenwart vorzüglicher Tonkünstler und von so manchem andern was zu Trost und Freude des Lebens gereichte. Das alles giebt beunruhigende [180] Gefühle, die man allenfalls beschwichtigt, so lange man sich an einen festen Aufenthalt durch Geschäfte gebunden sieht; lösen sich aber diese Bande, wird verlangt, ja gefordert daß man sich vom Platze bewege, daß man, zu Gunsten seiner Gesundheit, sich zu Aufopferung von Zeit und Kräften aller Art entschließe, so möchte man denn freilich den Weg dahin richten, wo Freundschaft und Neigung den reinsten Empfang versprechen. Nun fingen aber die sämmtlichen unbarmherzigen Ärzte ihr entscheidendes Prophetenlied: daß in den böhmischen Gebirgen für dießmal allein Heil zu finden sey! Noch immer wehr' ich mich, fürchte aber jedoch daß ich unterliegen werde, zumal da auch mein Sohn auf der Seite derer steht, die mich nach Osten wollen. Viel Zeit ist nicht mehr übrig und dann bereitet mir zu Anfang August wider meinen Willen eine verdrießliche Badefahrt. Dagegen ist mein Vertrauen auf Mayn, Rhein und Neckar so groß, daß ich dort ohne heißes, oder sonst geistreiches Wasser vollkommen zu genesen hoffte.

Dieser fortdauernde Zwiespalt zwischen meinen Wünschen und den ärztlichen Geboten wird geschärft durch die Einladungen unserer gnädigsten Herrschaften, die sich gegenwärtig alle südlich befinden; durch den Ruf der Freunde, der mir auch aus Zeit und Ferne noch immer so nahe tönt. Und ich werde dadurch vom Schreiben abgehalten, das ich jetzt noch verzögerte,[181] wäre es verantwortlich Ort und Stelle zu verlassen, ohne den Freunden wenn auch ein unerfreuliches Wort zu senden.

Ihr originaler Musicus giebt mir viel zu denken. Ich hatte schon längst im Sinne meiner Farbenlehre auch eine Tonlehre schematisirt, d.h. nach derselben Methode punctweis unter mehrere Rubriken verfaßt, was bey der Tonlehre zur Sprache kommen könnte. Da würde denn freylich sehr förderlich seyn mit Jemandem zu conferiren, der dieses Geschäft auf originalem Wege verfolgt, Theorie und Praxis zusammen walten läßt, besonders auch durch Unterricht die Faßlichkeit und Brauchbarkeit seiner Überzeugungen bewahrheitet. Der wackre Mann und die liebe Schülerin mich sehr weit bringen, da hier nicht von Bekehrung, sondern von freundlicher Belehrung und herzlicher Überzeugung die Rede seyn kann. Soll das nun alles aufgegeben werden, so gehört dazu freylich eine Resignation, die man so spät ausspricht als möglich. Und so muß es denn seyn wenn ich nicht stumm von hinnen scheiden soll, welches zu Anfang Augusts geschehen wird.

tausend Lebewohl

Jena den 11. July 1817.

Goethe.


Doch kann ich das Gegenwärtige nicht absenden, ohne auszusprechen daß ich baldigst Nachricht vom allseitigen Befinden wünsche. Hör' ich denn gar nichts [182] mehr von der lieben guten Rosette! von Kindern und Enkeln! Was vernimmt man vom Sohne? sind den die Hausfreunde, ihre Pfeifchen und Schwänke ganz verstummt? Sollten die Freundinnen mir nicht einmal eine ruhige Stunde widmen und mir von allen Umgebungen und Eigenthümlichkeiten umständliche freundliche Nachricht geben? Ich entsage dagegen den sämmtlichen Bundestagsverhandlungen, enthalte mich aller Theilnahme an Juden und Judengenossen, nicht weniger an manchen andern Frankfurtensien, die ich aus Bescheidenheit zu nennen unterlasse, und bemerke nur daß alles an mich nach Weimar Addressirte mir schnell folgen wird wohin ich mich auch wende.

Mich zu freundlichem und herzlichem Andenken empfehlend

Jena den 17. July 1817.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1817. An Johann Jacob von Willemer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9C31-5