[397] [232]1812

22/6238.

An Friederike Caroline Sophievon Solms-Braunfels

[Concept.]

[Weimar, 3. Januar 1812.]
Durchlauchtigste Fürstinn,
gnädigste Frau,

Zu einer Zeit, wo ich das Wagstück unternehme mir und anderen von dem Gange meiner Bildung Rechenschaft zu geben, kann nichts aufmunternder und erquickender seyn als von verehrten Personen zutraulich zu vernehmen, daß sie mir ihre Theilnahme nicht entziehen, ja mich derselben auf die gütigste Weise versichern wollen. Erfahre ich zugleich, daß ich zugleich, daß man über meine Schriften, meine Persönlichkeit recht ernstlich denken und darüber bedachtsam urtheilen mag; so gereicht [232] es mir zu großer Förderung. Ew. Hoheit erlauben mir, indem ich Ihr gnädiges Schreiben auf das dankbarste erwiedere, vom Schlusse, nämlich von der Grabschrift anzufangen. Diese war mir keineswegs apprehensiv: denn eine Grabschrift ist ja eigentlich eine Lebensschrift, indem sie die Grabstätte durch die Erinnerung an das Leben beleben soll. Dient sie also als Gegengewicht des Todes, warum sollte sie nicht auch dem Lebendigen ein Übergewicht geben?

Darf ich aber über jene schönen Zeilen aufrichtig meine Meynung sagen; so finde ich sie zu allgemein. Man erzeigt mir die Ehre, dasjenige auf mich besonders anzuwenden, was eigentlich von einem jeden Dichter gelten muß, insofern er diesen Namen verdient; und ich erkenne darin nur die freundschaftliche Gesinnung des Schreibenden, die ich mir um so lieber zuneige, als ich wohl jenes gute Zeugniß wenn man es genau besähe, an andere abzutreten hätte. Was mich jedoch im Gegentheil in Verwunderung gesetzt hat, und wozu ich gern anständig bin, ist die Stelle des Commentars: »Zeigt nicht jedes Blatt, daß er ein weit höheres Bedürfniß fühlt, in das innerste Wesen des Menschen und der Dinge einzudringen, als seine Gedanken poetisch auszusprechen.« Mögen Ew. Hoheit noch hinzusetzen: »als sprechend, überliefernd, lehrend oder handelnd sich zu äußern;« so haben Sie den Schlüssel zu Vielem was an mir und meinem Leben problematisch erscheinen muß.

[233] Verzeihen Sie, daß ich soviel von mir sage; allein ich bin Ihren köstlichen Blättern diese Erwiederung schuldig, wobey ich nicht zu betheuern brauche, das alles Schmeichelhafte das sie enthalten, so sehr ich es verehre, doch von den hinzugefügten Versicherungen einer fortdauernden Huld, eines unveränderlichen Wohlwollens aufgewogen wird. Mein dankbares Gemüth ist darüber um desto entzückter als es ihm zur nothwendigen Pflicht geworden, die hohen Geschwister zu lieben und verehren. Darf ich nun noch eine Bitte hinzufügen, die aus dem Epimetheischen Wunsche entspringt, das vergangene Werthe so viel als nur möglich festzuhalten. Ich nehme mir die Freyheit ein Verzeichniß beyzulegen von handschriftlichen Resten die sich lange bey mir gesammelt haben und diesen Winter in Ordnung gebracht worden. Dürft' ich im wohlwollende Beyträge bitten. Einige Zeilen von der Hand der verklärten Königinn würden mich sehr glücklich machen. Ew. Hoheit erlauben, daß ihr unschätzbares Schreiben als die schönste Zierde dieser Sammlung hinzufüge.

Mich von der Wiege bis zum Grabe, im Bilde und in der Wirklichkeit Ew. Hoheit zu Gnaden empfehlend.

Ew. Hoheit verzeihen gewiß wenn beyliegendes von einer fertigen Hand als die Meinige geschrieben sich darstellt. Der Schreiber Dr. Riemer empfielt sich gleichfalls zu Gnaden und findet sich glücklich bey[234] dieser unterthänigsten Neujahrs Aufwartung seine Glückwünsche mit den meinigen verbinden zu dürfen.

Unwandelbar Ew. Hoheit geeignet

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1812. An Friederike Caroline Sophievon Solms-Braunfels. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9C65-2