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An Georg Sartorius

[Concept.]

Einige junge Leute, die bey uns zum Besuche waren, kann ich ohne ein Lebenszeichen nicht entlassen, das ich Ew. Wohlgeb. schon so lange schuldig bin. Mein Dank für Ihre viele freundschaftliche [257] Güte war nicht weniger lebhaft während meines bisherigen Stillschweigens.

Ich versetze mich gleich wieder an den Tag meiner Abreise von Göttingen, dessen Abend ich in Dransfeld zubrachte. Können Sie gelegentlich, in guter Gesellschaft, bey gutem Wetter, den Berg, worauf die Steinbrüche zum Göttinger Pflaster sich befinden, ersteigen; so werden Sie gewiß viel Vergnügen haben. Es war mir sehr angenehm von da aus die Gegend, die ich so eben verlassen sollte, erst recht im Zusammenhange zu übersehen. Die Plesse, Weende, und noch manches in jenem Leinegrunde, Göttingen, den Hainberg, sodann, in den benachbarten Gegenden, die Gleichen, mehrere Ortschaften, in sehr abwechselnden Gründen, weiter rechts den Hahnstein, waldige Gebürge, Berlepsch u.s.w., den Horizont von den vielfachen Gebirgen des Harzes abgeschlossen.

August wollte mit bloßen Augen die Theile des Hainberges erkennen, wo er die Versteinerungen aufgesucht, und behauptete die Stallgebäude von dem Weender Gut deutlich zu sehen.

Wie dem auch sey so fühlten wir beyde daß wir Göttingen ungern verließen, wo es uns in manchem Sinne so wohl gegangen.

In Cassel fand sich meine ganze kleine Familie zusammen, da ich denn, in Gesellschaft meines Freundes Meyer, die Kunst und Naturwerke genießen und studiren konnte.

[258] Bey Eisenach sah ich, gleichfalls von gutem Wetter begleitet, des Herzogs neue Anlagen in Wilhelmsthal und das alte Fabrikörtchen die Ruhl, bestieg die Wartburg und erinnerte mich früherer Zeiten.

In Gotha brachte ich etwa 8 Tage, bey meinen hohen Gönnern und Freunden, zu und ergötzte mich an zwey bedeutenden Instituten, der Sternwarte auf dem Seeberge und dem Erziehungskreis in Schnepfenthal.

In Weimar erwarteten mich die eingesendeten Zeichnungen und es war schon ein kleines Geschäft sie unter Rahm und Glas zu bringen und aufzustellen. Ein Verzeichniß liegt bey. Wenn man einmal das Interesse der Kunst nicht los werden kann, so hat eine Sammlung, wie sie hier so zufällig zusammen kommt, recht vielen Reiz und giebt zu mancherley bedeuten den Betrachtungen Anlaß; besonders wenn man sich parteylos halten kann und durchaus gerecht und billig seyn mag.

Mad. Unzelmann traf auch zu Ende Sept. hier ein und gab etwa sieben Vorstellungen. Ihr durchaus charakteristisches, gehaltenes, verständiges, gehöriges, ungezwungenes Spiel hat mir außerordentlich viel Vergnügen gemacht und wenn ich über das was sie leistet ins einzelne gehen dürfte; so würde ich an ihr rühmen daß sie, gegen die Mitspielenden, mit der größten Leichtigkeit, eine gefällige Lebensart ausübt, auch, wenn sie nichts zu sprechen hat, jedem pantomimisch [259] etwas artiges zu erzeigen und das Ganze dadurch zu beleben weiß.

Doch ich darf mich in diese dramaturgischen Bemerkungen nicht weiter verlieren.

Herr Tieck, Bildhauer, der eben von Paris zurückkehrt, modellirt gegenwärtig an meiner Büste. Ich hatte dabey Gelegenheit mich viel mit ihm über jene wunderliche Hauptstadt der Welt zu unterhalten, wo er beynahe 3 Jahre studirt hat. Wenn seine Arbeit glückt, wie ich hoffen kann, so erlauben Sie ja wohl daß ich Ihnen gelegentlich einen gipsenen Freund ins Haus schicke.

Dießmal erhalten Sie die neusten philosophischen Phänomene, die, von Südosten her, das nordwestliche Deutschland bedrohen. Vielleicht ist eins oder das an dere in Göttingen noch eine Neuigkeit.

Leben Sie recht wohl und lassen wo möglich den Faden nicht abreißen, der sich unter uns so freundlich angeknüpft hat. Empfehlen Sie mich Herrn Prof. Hugo und lassen mich bey meiner Wiederkehr einen guten Empfang in Göttingen hoffen.

Nach beyliegenden Verzeichnissen haben Sie ja wohl die Güte in der Kästnerischen Auction bieten zu lassen, mit Dank werde ich die Auslagen erstatten. Von den Büchern die höher weggehen lassen Sie mich ja wohl die Preise erfahren. Rizzeti's Werk: De luminis affectionibus, welches auch in gedachter Auction sich befindet, möchte ich gar gern besitzen. Ich habe[260] Herrn Prof. Reuß mündlich gebeten mir solches zu erstehen, Sie haben ja wohl die Güte ihn daran zu erinnern. Ich gebe gern einen Ducaten, auch wohl etwas mehr dafür. Verzeihen Sie die Bemühung die ich verursache und leben recht wohl.

Weimar am 10. Oct. 1801.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1801. An Georg Sartorius. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9C73-2