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An Carl Friedrich Zelter

Dir war freylich abermals eine harte Aufgabe zugedacht; leider bleibt das immer die alte Leyer, daß lange leben soviel heißt als viele überleben, und zuletzt weiß man denn doch nicht was es hat heißen sollen. Vor einigen Tagen kam mir zufälliger Weise die erste Ausgabe meines Werthers in die Hände und dieses bey mir längst verschollene Lied fing wieder an zu klingen. Da begreift man denn nun nicht, wie es ein Mensch noch vierzig Jahre in einer Welt hat aushalten können, die ihm in früher Jugend schon so absurd vorkam.

Ein Theil des Räthsels läßt sich dadurch, daß jeder etwas Eigenes in sich hat, das er auszubilden gedenkt, indem er es immer fortwirken läßt. Dieses wunderliche Wesen hat uns nun tagtäglich zum Besten und so wird man alt ohne daß man weiß wie oder warum.

[312] Beseh ich es recht genau, so ist es ganz allein das Talent, das in mir steckt, was mir durch alle die Zustände durchhilft, die mir nicht gemäß sind und in die ich mich durch falsche Richtung, Zufall und Verschränkung verwickelt sehe.

Du hast unterdessen einen Brief von mir erhalten. Bald schick ich einiges. Mein Rhein- und Maynheft ist geschlossen, die Versendung durch Zufälligkeiten aufgehalten. Es ist redlich gemein und wird am Ende mir am meisten nützen, denn es giebt mir einen Maaßstab was denn auch in diesem Falle von vernünftigen Wünschen und Vorsätzen zu Stande komme. Ich fürchte es wird nicht viel seyn.

Daß ich diese Arbeit übernommen, reut mich nicht, besonders da ich diese Tage manche frühern auf Reisen sorgfältig gesammelten Acten wiederfand, nur fand ich bey meiner Rückkehr niemals Muße zur Redaction und auch dießmal nur mit größter Anstrengung. Dich wird es indessen gewiß interessiren, wo ich innehalte und was ich über die Fortsetzung sage. Der Hergang der Kunst durch das Mittelalter und gewisse Lichtpuncte bey der Wiedererscheinung reiner Naturtalente haben, hoff ich, durch meine Darstellung gewonnen. Nur werden leider die schreibseligen Legionen Deutschlands meine Ernte, wie sie auch seyn mag, sehr geschwinde ausdreschen und mit den Strohbündeln als reichen Garben am patriotischen Erntefest einherstolziren.

[313] In eine sehr große wissenschaftliche Thätigkeit werde ich versetzt durch unsers Großherzogs Verlangen, unsere durch die ungeheuren Kriegsschicksale wundersamst erretteten Anstalten energisch belebt zu sehen. Da muß ich nun alles zusammennehmen was ich weiß und will. Du sollst mancherley erfahren, aber, was ich dich ersuche, schreibe doch oft vom Theater, in welches du einen so reinen, tüchtigen und doch so gutmüthigen Blick hast. Sage mir bald was über die Erscheinung von Wolffs und wie sich ihr Spiel zu der Umgebung und zum Publicum verhält. Grüße Herrn Staatsrath Schulz und ersuch ihn mir bald zu antworten. Es ist gerade Zeit das Eisen zu schmieden.

Gott erhalte dich.

Weimar d. 26. März 1816.

Goethe.


Wie es diesen Sommer mir mit einer Badereise ergehen wird, weiß ich noch nicht; bey unsern neuen Organisationen ist mir auch in meinem Kreise manches Mühsame und Verwickelte zugefallen, weswegen ich vor Pfingsten ja vielleicht gar vor Johannis nicht von der Stelle kann. Sage mir von Zeit zu Zeit von deinen Planen, vielleicht kann ich mich darnach richten.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1816. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9CAD-F