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An François Théodore de Lagarde
Die beyden zurückkommenden Zeichnungen von Moreau und Vernet haben, wenn man sie nicht mit unbilliger Strenge beurtheilen will, soviel gutes und verdienstliches, daß wir Ihnen rathen möchten bey Ihrer Ausgabe der Homerischen Dichtungen Gebrauch davon zu machen; wenigstens von der von Moreau die uns in Erfindung, Zeichnung und Ausführung Vorzüge vor der andern zu haben scheint.
Nach unserer Weise zu urtheilen ist zwar der Gegenstand nicht der günstigste und es konnte auch gegen die nicht ganz elegant und kunstgerechte Unordnung der Figuren in der Zeichnung verschiedenes eingewandt werden; doch hat sie im übrigen viel gutes und gefälliges und macht überhaupt genommen als Kunstwerk ihrem Verfasser Ehre. Wenn Sie auch eine andere Zeichnung von einem andern Künstler machen lassen, so kann vielleicht in Rücksicht des Gegenstandes etwas gewonnen werden, vielleicht kann ein kunstgerechteres Ganze entstehen; aber das Publikum im allgemeinen wird schwerlich mehr Gefallen daran finden und, beyläufig gesagt, auch der Kupferstecher wird schwerlich ein besseres Blatt liefern.
Mit der zweyten Zeichnung, von Vernet, hat es freylich mehr Bedenken; der Gegenstand an sich selbst widerstrebt der bildenden Kunst, die Unordnung ist verworren, [118] unterdessen sind die Figuren, jede einzeln betrachtet, ebenfalls recht gut gezeichnet und der Hintergrund, obschon dem Zweck der Zeit und Ortsbestimmung sehr entgegen, ist sehr angenehm.
Finden Sie daß diese kritischen Anmerkungen über Vernets Zeichnung mit den Absichten bestehn können, welche Sie überhaupt bey den Kupferstichen, die Ihren Homer zieren sollen haben mögen, so ist es am besten auch diese beyzubehalten. Wenn sie einem geschickten Kupferstecher zur Ausführung in Kupfer übergeben wird, so muß das Blatt doch allemal wenigstens noch gut in die Augen fallen, wenn auch gleich der Kunstkenner und strengere Richter nicht ganz; damitzu zufrieden seyn sollte.
Vorstehendes ist die Meynung meines Freundes des Herrn Professor Meyer, welche mit der meinigen völlig überein kommt. Die Sache wird nunmehr auf Ihrer Überzeugung beruhen.
Bey unserer dießjährigen Concurrenz hat Herr Professor Nahl, in Kassel, einen vortrefflichen Abschied des Hectors geliefert, der zwar nicht sogleich zu Ihrem Unternehmen paßt, indem das Format in die Länge geht; aber bey der schönen Vorarbeit, die dadurch gemacht ist, halte ich es auf alle Fälle wünschenswerth daß Sie künftig diesen geschickten Mann veranlassen, dieses Sujet auch zu Ihrem Zweck zu behandeln.
Was die griechischen Buchstaben betrifft, maße ich mir darüber kein Urtheil an; doch würde ich die Art mit verstärkten Strichen vorziehen.
[119] Ich weiß nicht ob Ihnen bekannt ist daß Herr Göschen, zu einer Ausgabe von Griesbachs Neuem Testamente, neue Lettern bey Prillwitz schneiden lassen, über deren Form, vorher, unter den Gelehrten vieles verhandelt worden. Ich habe sie in der letzten Zeit nicht wieder gesehen, weil man eine Art von Geheimniß daraus macht; wenn ich aber nicht irre, so kommen die kleinen Buchstaben mit den Ihrigen sehr überein. Was hingegen die großen betrifft, so hat man mit diesen eine Hauptveränderung vorgenommen, und gesucht sie, aus der Steinschrift, durch schickliche Züge, der Handschrift zu nähern. Auch diese hoffe ich in den nächsten Tagen zu sehen und gebe Ihnen alsdann einige Notiz davon. Überhaupt sollte ich glauben, daß es für beyde Unternehmungen gut wäre, wenn in beyden Werken sich die Buchstaben glichen, wodurch die Veränderungen, welche man allenfalls einzuführen gedenkt, geschwinderen Eingang fänden.
Ich bitte nochmals um Verzeihung daß ich die Zeichnungen so lange behalten und mit dieser Antwort gezögert habe. Es sollte mir angenehm seyn wenn ich künftig, auf irgend eine Weise, mit Rath und That dienen und gefällig seyn könnte. Der ich recht wohl zu leben wünsche und mich geneigtem Andenken empfehle.
Weimar am 27. Sept. 1800.
J. W. v. Goethe. [120]