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An Johannes von Müller

Hochwohlgeborener
Hochzuverehrender Herr

Von Euer Hochwohlgeboren habe seit unsrer frohen Zusammenkunft in Zürch nichts unmittelbar vernommen, Destomehr kann ich sagen, daß ich mittelbar in Verhältniß zu Denenselben geblieben bin.

[290] Vielleicht sollte ich der Briefe nicht gedenken, welche ohne, ja wider Ihren Willen in's Publikum gekommen sind; allein für diejenigen war es eine große Gabe, die den Mann, der soviel geleistet, in der Fülle jugendlichen Strebens nach unendlicher Breite und Höhe zu bewundern fähig waren.

Auch gegenwärtig, da mein Freund der Hofrath von Schiller, der sich Ihnen bestens empfiehlt, die Legende von Tell, als Tragödie, zu bearbeiten unternommen, war sein Erstes, sich mit Ihrer Schweizergeschichte bekannt zu machen und mir Theil an seinen Studien zu vergönnen. Wer kann den Geschichtschreiber mehr schätzen als der Dichter, der Stoff zu seinen Arbeitenaufsucht! Wer kann den glücklich bearbeiteten Stoff, der ihm entgegen gebracht wird, von dem rohen besser unterscheiden!

Füg' ich nun hinzu, daß ich von dem wackern Professor Sartorius vor einiger Zeit vernommen, daß Sie ihm bei seiner traurigen Krankheit in der Kaiserstadt mit leiblicher und geistiger Hülfe die beste Erquickung geleistet; so darf ich wohl behaupten, daß Sie mir immer gegenwärtig geblieben sind.

Mit desto mehrerem Zutrauen wage ich daher, Sie um Theilnahme in einer Angelegenheit zu bitten, welche mir sehr am Herzen liegt.

Professor Schütz zu Jena hat sich durch die bedeutenden Vortheile, welche demselben unter Beding, einer Wandrung nach Halle dargeboten worden, bewegen lassen, den letzten Ort zu seinem Aufenthalt [291] zu wählen; dadurch wird das Band der Jenaischen Litteraturzeitung zerrissen, und es ist Pflicht, bald wieder ein neues zu ähnlichen Zwecken zu knüpfen.

Es hat sich deshalb die eminente Majorität Weimarischer und Jenaischer Gelehrten und Gelahrtheitsgenossen mit Eifer ein solches Werk zu unternehmen verbunden. Ew. werden die Schwierigkeiten dabei mit einem Blick übersehen, ohne daß ich sie umständlich aufzähle, und mit mir zugleich einstimmen, daß die neue Societät nichts angelegners haben kann, als genialische, wissenschaftlich gründliche, verdient berühmte Männer zu einiger Theilnahme aufzufordern.

Wo treffen diese und noch so manche andre Eigenschaften in schönerem Gleichgewicht zusammen, als bei Euer Hochwohlgeboren! Welch Verdienst würden Sie Sich durch Geneigtheit um uns, Ihre wahren Verehrer, erwerben, und vorzüglich den Dank des besten Fürsten verdienen, dem an Erhaltung und Beförderung alles Guten soviel gelegen ist, und der Sie seit sovielen Jahren kennen und schätzen gelernt hat. Dürfte ich daher in allen diesen Rücksichten anfragen, ob Ihnen vielleicht ein neueres historisches Werk im Sinne schwebt, worüber Sie öffentlich Ihre Meinung zu sagen geneigt wären? Dürfte ich Sie an unsers Freundes Sartorius Geschichte des hanseatischen Bundes erinnern? Dürft' ich um gefällige baldige Antwort bitten, ob wir uns eines so köstlichen [292] Beitrags vielleicht vor Schluß des Jahrs erfreuen dürften? wobei ich denn immer noch um Vergebung einer solchen Zudringlichkeit bitten muß, so wie ich mich kaum bei einem unschätzbaren Gegenstand eines Preises zu erwähnen getraue.

Ich schließe diesen Brief mit der freudigen Empfindung, daß Vorfälle, die sonst manches Unangenehme haben, mir Gelegenheit geben, ungeheuchelte Gesinnungen, die ich so lange hege, Denenselben aufrichtig darzubringen; der ich mich in Hoffnung künftig fortzusetzender Verhältnisse die Ehre habe zu unterzeichnen

Euer Hochwohlgeboren ganz

gehorsamsten Diener

Weimar d. 4. Sept. 1803

J. W. v. Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1803. An Johannes von Müller. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9D4A-7