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An Christian Gottlob Voigt

In beyliegendem Schreiben Nr. 137 wiederholt Lenz die fixe Idee, mit der er mich schon bisher geplagt, daß nämlich die Heimische Gebirgsfolge des Thüringer Waldes in Glasschränken aufgestellt werden möge.

Da ich aber auf dem Vorsatz, daß solche in Schubladenschränke, die wir seit so vielen Jahren zweckmäßig finden, niedergelegt werden solle, fest bestehen [87] zu müssen glaube; so kann solches nicht thun ohne Ew. Excellenz meine Gründe deshalb vorzulegen und um Beystimmung zu bitten.

Es mag hingehen, daß die oryktognostische Sammlung in Glasschränken aufgestellt sey, besonders fallen die obern großen überglasten Räume, wo die Prachtstücke aufgestellt sind, gut in die Augen und so auch die paar oberen Fächer. Je weiter es nun aber herunter kommt, um desto mehr werden die hintersten Exemplare verdeckt und das unterste Fach ist fast gar nicht zu sehen.

So liegen nun oft im Dunkeln, weil sie nach dem System gereiht sind, die prächtigsten Stücke, wie z.B. der Fall mit den Labradoren ist, oder wenigstens war. Rechnet man nun noch hinzu, daß mehrere Schränke gegen das Licht stehen, so würden, wenn es Ausrechnung gälte, zwey Drittel der Sammlung den Augen entrückt erscheinen.

Freylich ist das übrige Drittel noch prächtig und imposant genug und also für die gaffende Menge, der man was vorgaukeln will, immer hinreichende Stoff. Auch einseitige durchreisende Kenner begnügen sich mit dem was sie sehen, und finden Anlaß zu Belehrung und Bewunderung. Will man aber das Kabinett wirklich benutzen, dann geht erst die Noth an, wie ich sie noch erst bey meinem neulichen Aufenthalte erfahren habe.

Man muß eine Tafel aufstellen, die einzelnen [88] Kästchen herausklauben, die Nummern zu reihen suchen, eine Operation, die immer schwerer wird, je tiefer unten grade die Mineralien liegen, nach denen man fragt. Der Gehülfe muß sich auf die Erde legen um die hintersten hervorzuziehen, und wie schwer ist es, ja unmöglich bey Wiedereinräumen die Ordnung der Nummern beyzubehalten. Ein paar Versuche das Kabinett in systematischer Reihe zu betrachten haben mich abgeschreckt, dergleichen je wieder vorzunehmen, und ich bin überzeugt, daß seit dieser Einrichtung das Kabinett, in diesem Sinne, weder benutzt worden, noch benutzt werden kann.

Daß nun diese außer jenen Mängeln noch höchst platzvergeudende Einrichtung auch in den neuen Zimmern rechter Hand beybehalten wurde, geschah nicht nach meiner Überzeugung, doch mochte es der Conformität und des beliebten Scheins wegen hingehen, obgleich die daselbst aufgestellte Suitensammlung keineswegs augenfällig ist und bey Benutzung derselben nicht einzelne Stücke sondern ganze Reihen herausgehoben und betrachtet werden müssen. Wovon ich die abschreckende Unbequemlichkeit gleichfalls bey meinem letzten Aufenthalt erfahren habe.

In Vorgesagtem liegt nun der Grund, warum ich, der ich diesen Platz und Nutzung vergeudenden Unfug nicht wieder erneuert sehen wollte, die untere neu einzurichtende Gallerie mit Schränken zu besetzen den Vorsatz faßte, noch eh von der Heimischen Sammlung [89] die Rede war. Meine Absicht ging dahin, die unscheinbaren Gebirgsfolgen aus dem obern Stock herunter in die Schubladen zu nehmen und augenfälligere, deren es auch wohl giebt, dafür in die Glasschränke einzurangiren.

Nun kommt die Heimische Sammlung dazu, und wollte man solche in Glasschränke bringen, so würde der untere Raum aufgezehrt, vielleicht nicht einmal hinlänglich seyn, anstatt daß ich nach der gegenwärtigen Einrichtung die Bergrath Voigtische Suite des Thüringer Waldes und die Fichtelbergische hier unterzubringen hoffe.

Es ist ein bloßer Wahn daß man sich einbildet, eine solche Reihe mit dem leiblichen Auge übersehen und ihr folgen zu können und noch sogar, wie Lenz will, in einem Augenblick, welches gerade das Flüchtige und Unzulängliche solchen Aufstellens ausspricht. Und bedenkt man das was ich eben von der Verborgenheit des größten Theils der oryktgnostischen Sammlung gesagt habe; so wird man sich überzeugen, daß auf diese Weise die Heimische Sammlung für ewig vergraben seyn müßte.

Geheimerath Heim that einen Vorschlag in einem Brief an Lenzen, welcher viel vernünftiger ist, aber noch mehr Raum erfordert. Die Mineralien sollten auf lange Tafeln gelegt werden, dahinter Schränkchen, deren Thüren sich aufwärts aufklappen ließen, da man denn freylich, daran hergehend, die ganze Folge [90] übersehen könnte. Wer aber einigermaßen die Custoden und ihre Behandlungsweise kennt, wird sich überzeugen, daß in einigen Jahren Staub und Spinnen die Oberhand nehmen würden.

Was auch die Besuchenden, die flüchtig überschauenden Fremden Herrn Lenz mögen gejagt haben, so bleib ich doch des Glaubens, daß eine jede Folge dieser Art nicht mit den Augen des Leibes sondern des Geistes beschaut werden müsse. Dazu ist eigentlich der Catalog, ich hab ihn durchgelesen und weiß genau welche Rubriken ich zuerst vornehmen werde. Man zieht alsdann die Schubladen heraus, die ohnehin nummerirt sind und sich auf den Catalog beziehen müssen. Sind es mehrere die man zu übersehen wünscht, so sind Gestelle und Tafeln bereit, welche man in's beste Licht setzt, und so kann man, wenn man will, die ganze Folge auf's bequemste betrachten.

Ich war über diesen Gegenstand so weitläufig, weil ich wünschte, Ew. Excellenz die Lage der Sache ganz genau darzustellen und auch für die Folge die Ursache des Verfahrens bey den Acten aufzubewahren. Denn des guten Lenz Refrain wird ewig seyn: Glasschränke, Glasschränke! wobey er die Unart mit vielen Menschen theilt, daß nichts als was er besitzt oder gethan hat etwas gelten soll, wodurch er, trotz seiner guten Eigenschaften, oft unerträglich wird.

Beyliegende Verordnung habe ich in obigem Sinne aufgesetzt, wir wollen seyen, ob wir ihn dadurch im[91] Zaum halten, denn er ist in den Eigenwillen, diese letzten zehn wilden Jahre her, so recht hineingewachsen.

Weimar d. 13. July 1816.

Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1816. An Christian Gottlob Voigt. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9DA9-F