40/221.

An den Großherzog Carl August

[Concept.]

Ew. Königlich Hoheit

erlauben, daß ich sogleich, jedoch nur wie es mir soeben vorschwebt, über die gnädigsten Mittheilungen mich zu äußern wage.

1) Den gedruckten Aufsatz habe zwar nur angeblickt, trete aber sogleich und entschieden Höchst Deroselben Äußerung bey. Noch vor kurzem schrieb mir ein tüchtiger Freund: »Ich halte es für naseweis und gefährlich, in Gottes Rathsstube durch das Schlüsselloch zu sehen.«

2) Von dem Improvisator habe ich mir viel erzählen lassen, auch ihn selbst überhört. Es ist ein recht hübsches Talent, welches durch die große Ausbildung unsrer Sprache, Rhythmik und Reim endlich gar wohl möglich ward und sich, nach gegebenem Beyspiel, bald wiederholen wird. Bis jetzt ist er noch in den Kreis der modernen, subjektiven, mit sich [274] selbst beschäftigten, in sich selbstbefangenen Poesie eingeengt. Was sich auf innere Erfahrung, Gefühl, Gemüth und Reflexion darüber beschränkt, gelingt ihm recht gut, und eine Aufgabe, die hiezu Gelegenheit bietet, wird er glücklich lösen; zu allem eigentlich Gegenständlichen aber hat er seine Fähigkeiten bisher noch nicht ausgebildet, ja er fühlt, wie alle jüngere Neuere, gewissermaßen eine Scheu vor dem Wirklichen, worauf denn doch alles Imaginative sich gründen und alles Ideelle sich niederlassen muß. Meine Aufgabe war: Hamburg, und zwar als wenn er so eben wieder dahin zurückkäme, zu schildern. Da ergriff er gleich den sentimentalen Faden von seiner Mutter, seinen dortigen Freunden, ihrer Liebe, Duldung und Beyhülfe zu sprechen. Die Elbe blieb ein Silberfaden, Rhede und Stadt waren für nichts dabey, von dem thätigen Menschengetümmel keine Spur, so daß man eben so gut in Naumburg oder Merseburg hätte anlagen können. Ich habe ihm dieß alles redlich eröffnet und wenn er sich nun jetzt zu seinen Haus- und Familiengefühlen noch das Panoram einer nordischen großen Handelsstadt ausbildet, so kann er was Vorzügliches leisten.

Aber eben diese Bekehrung und Sinnesänderung vom abgegränzten Innern in's gränzenlose Äußere, vom einfachen Angebornen zu mannichfaltigem Mitgebornen wird unsern jungen Zeitgenossen schwer, ja unmöglich. Schon einige Jahre her habe ich gar [275] manchen mit dem treusten Rath zu fördern gesucht, allein wenn sie auch einmal einen Anlauf genommen, so fallen sie Augenblicks wieder in ihre elegische Litaney zurück. Verzeihung dieser weitläufigen Ausführung!

3) Die Bestimmung wegen des neuen Arztes ist allerdings beruhigend; denn ich überzeuge mich immer mehr und mehr, daß die Bekanntschaft eines solchen Mannes mit den Persönlichkeiten, die er zu behandeln hat, höchst wünschenswerth bleibe. Ein Hauptpunct bey jedem Urtheil ist die Vollständigkeit der Prämissen; und diese kann denn doch nur in einer Reihe von Zeit erlangt werden. Und so zweifle ich denn nicht, daß dieser schon geprüfte Mann der höchsten Familie zuvörderst und allen die er nach und nach kennen lernt, zu Nutz und Frommen gereichen werde. Ich selbst wünsche mich mit ihm zu unterhalten und, insofern meine, fast Hahnemannische Diät und gewisse Hausmittel nicht mehr auslangen, seiner Leitung anheim zu geben.

Hienach darf ich denn wohl gestehen, daß gerade in diesen letzten Tagen, bey der Unbestimmtheit einer ärztlichen Hülfe, mir die Sorge für Höchst Deroselben Befinden doppelt peinlich gewesen. Die unmittelbare Gegenwart eines sicheren Rathgebers wird bey Zufälligkeiten am wünschenswerthesten.

Weimar den 31. Januar 1826.

[276]

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1826. An den Großherzog Carl August. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9DEA-E