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An Wilhelm Johann Carl Zahn

Da ich, mein Theuerster, Ihren lieben Brief vom 18. Februar heute am 6. März erhalte und ich daher hoffen darf, ein Blatt von mir könne Sie noch vor Ende des Monats erreichen, so weil ich freundlichst zu erwidern daß Ihre Sendung mich unendlich erfreut hat.

Kaum, ich will es wohl gestehen, konnt ich bey mir festsetzen und vertrauen: jene ehrenvolle Widmung werde sich auch für die Folge aufrecht erhalten, mein Name könne, dort bewahrt, Freunden zum Versammlungspunct dienen. Wie sehr weiß ich deshalb zu schätzen wenn meine werthen Landsleute, vereint mit jener verehrlichen Gesinnungen lebendig fortwirken zu lassen.

Freylich Sonderbares mußte hier zusammentreffen! Es war in den Sternen geschrieben (ich bediene mich dieses tropischen Ausdrucks für eins der Ereignisse wofür kein Wort zu finden ist), daß mein Sohn, an dem ich so viele Freude, Sorge und Hoffnung erlebt, auf seiner parabolischen Bahn durch Italien, ehe er[260] sein Ziel in der Nähe der Pyramide des Cestius erreichte, soviel theilnehmende Freunde fand und auch dort erwarb, um seinem Vater für alle liebevolle Mühe, treue Sorgfalt und bedeutende Aufopferungen unter einem eigenen Zusammenwirken so mancher von einander unabhängiger Ereignisse das würdigste Denkmal zu gewinnen. Ich weiß recht wohl daß wir Ihrem Einfluß diese Gute schuldig sind, und erkenne nicht allein, wie immer, Ihre rastlose zweckmäßige Thätigkeit, sondern auch zugleich das Beharren in dem Wohlwollen gegen die, denen Sie eine gründliche Neigung gewidmet haben.

Indem Sie die mir so erfreuliche Sendung bereiteten, haben Sie durchaus empfunden, daß ich dergleichen Abbildungen sehnlich zu erhalten wünschte. Zwar sind durch Ihre Sorgfalt und durch Vermittelung wackrer Landsleute in den öffentlichen Blättern umständliche und im Allgemeinen genugthuende Nachrichten zu uns gelangt; aber je ausführlicher der Bericht ist, desto lebhafter sehnt sich der Geist nach dem Urbilde. Nun ist mein Wunsch erfüllt, und es möchte wohl keine Frage seyn daß jenes Mosaik den Alexander als Überwinder, den Darius in dem Seinigsten überwunden und persönlich zur Flucht hingerissen vorstellt. Es ist ein höchster Gedanke daß, indessen der Perserkönig sich vor der unmittelbaren Gefahr weniger als über den Untergang seines Getreusten entsetzt, sein Wagenlenker mit [261] dem Peitschenstiele die nachdringenden, schon siegwähnenden tapfern treuen Perser aus einander winkt, dem flüchtigen Königswagen Platz zu machen, da denn der Wald der gegen die Griechen gesenkten Speere durch diesen einzigen Gest dem Zuschauer paralysirt erscheint. Mitwelt und Nachwelt werden nicht hinreichen, solches Wunder der Kunst würdig zu commentiren, und wir genöthigt seyn, nach aufklärender Betrachtung und Untersuchung immer wieder zur einfachen reinen Bewunderung zurückzukehren.

Unwiderstehlich wird man, ich kann es nicht übergehen, an die Schlacht Constantins erinnert, die nun künftighin der Siegestriumph des römischen Christenthums heißen müßte. Es beruhigt mich einigermaßen, ein zweytes Kunstwerk zu kennen, welches den Geist befähigt, durch Vergleichung und Gegensatz sich aus diesem antiken Knotengewirre herauszuwinden und sich den würdigsten Betrachtungen im Stillen zu überlassen.

Bey dem Gebäude selbst, dessen Grundriß Sie vorsorglich beygelegt, ist gar manches zu denken, vorzüglich aber Ihre Bemerkung über das Abweichen von einer strengen Symmetrie als von der größten Wichtigkeit zu betrachten. Es läßt sich dieses ansehen wie die Ausweichungen in der Musik, die man nicht Mißtöne nennen sollte, weil sie zu einem sonst unerreichbaren Schönen hinführen und uns die anmuthigste Befriedigung vorbereiten.

[262] Wie sehr es sich auch selbst versteht, so darf ich doch nicht unausgesprochen lassen, ja ich muß wiederholen, daß es mir ein durchdringend-würdiges Gefühl in meinen hohen Jahren gibt, jüngere Heranwirkende zu sehen, die nicht allein was ich bisher allenfalls geleistet billigen, sondern zugleich empfinden daß der Weg auf dem ich unverrückt gewandelt auch derjenige sey auf welchem sie prosperiren. Ich war, stets aufmerksam auf diejenigen Puncte der Welt-Kunst- und Culturgeschichte, wo ich mich immer mehr vergewissen konnte, hier sey eine hohe wahre menschliche Bildung zu gewinnen.

Lassen Sie mich von dem Architekten und Oberaufseher von Pompeji Herrn Michele Rusca sprechen. Empfehlen Sie mich ihm und versichern ihn der Aberkennung seiner Geneigtheit. Ich werde nicht allein alles was er mir zusenden möchte mit Dank empfangen, sondern ihm sowohl die Medaille von Brandt als auch jene Bovy zu übermachen nicht versehen. Durch Vermittelung der preußischen Gestandtschaft ist es wohl am sichersten, etwas nach Neapel zu bringen.

Zu Ihren Ausgrabungen an verschiedenen Stellen wünsche Glück. Was in jenen Gegend durch den furchtbarsten Zufall in den Grund gelegt worden, möchte bey näherer Untersuchung ganz unerschöpflich seyn. Haben wir so großen Vortheil von diesen Entdeckungen gehabt, so müssen wir unser Enkeln und Urenkeln auch [263] was gönnen. Sie, mein Theuerster, führen sie auf die rechte Spur und der echte Sinn wird bey succesiver Entdeckung echter Gegenstände gewiß erhalten und in echten Menschen zur gelegnen Zeit fortleben und wieder aufleben.

Zu Ihren Unternehmungen, die Sie auf diesem Erd-und Wasserball vorhaben, wünsch ich das herzlichste Wohlergehen, wenn auch nicht ganz gern, weil Sie mir gar zu sehr in's Weite rücken. Doch, da ich wohl begreife, daß Sie Ihrer Thätigkeit nicht leicht Gränzen setzen können noch dürfen, so will ich mit freunden erwarten: ob das Unschätzbare was Sie uns gewiß zurückbringen mir auch noch zu Lust und Gedeihen zu rechter Zeit anlangen wird. Erhalten Sie mir daher Ihr treues und wohlthätiges Andenken.

Sollte Herr Walter Scott noch in Ihrer Nähe seyn, so versichern Sie denselben daß er sich bey uns durchaus einheimisch finden werde, und nicht nur als Verfasser so vieler und bedeutender Werke, sondern zugleich als ein Wohl- und Edeldenkender, der allgemeinen Ausbildung sich widmender. Und ich für meine Person darf wohl sagen daß diese durchgängige Anerkennung bey mir durch eine gewisse Zärtlichkeit einer vieljährigen Verwandtschaft noch erhöht wird.

Meine gute Tochter, die Ihr freundliches Andenken zum besten erwidert, wünscht, wenn es Gelegenheit gibt, der unverheiratheten Tochter des Sir Walter[264] Scott, die wie man sagt, ihren Herrn Vater begleitet, bestens empfohlen zu sey und versichert von ihrer Seite den lebhaftesten Empfang.

Alle hiesigen Freunde, die Sie kennen und nennen, grüßen und danken mit mir auf's beste und freuen sich nach gelungener Reise auf Ihre reiche Gegenwart.

Sodann bitte ich, die Geneigtheit dortiger Gelehrten, Kunstfreunde, Künstler und Kunstgenossen auf das treulichste dankbar zu erwidern. Lassen Sie mich hoffen, durch irgend eine Vermittelung auch während Ihrer Abwesenheit aus diesem Welttheile einige Nachricht von Ihnen zu erhalten.

Weimar den 10. März 1832.

J. W. v. Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1832. An Wilhelm Johann Carl Zahn. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9E00-3