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An Carl Friedrich Zelter

Sie haben, lieber theurer Freund, lange nichts von mir gehört. Jetzt will ich im kurzen zusammenfassen, wie es mir bisher gegangen. Ich kam nach Carlsbad in dem übelsten Befinden, das sich durch einen zwar gewöhnlichen, aber für meine Zustände nicht passenden, schlendrianischen Gebrauch des Wassers abfänglich so vermehrt, daß ich einen höchst peinlichen Zustand gerieth. Durch eine Abänderung der Cur und den Gebrauch einiger Mittel, nach Verordnung des Dr. Kapp von Leipzig, wendete sichs auf einmal ins Bessere, wobey es denn auch schon sechs Wochen anhaltend verharrt, welches ich sehr gern meinen Freunden zu wissen thue. Acht Wochen bin ich nun schon verschiedene Weise beschäftigt: erst kleine Geschichten und Märchen, die ich lang im Kopf herumgetragen, dictirt; sodann eine Weile Landschaft gezeichnet und illuminirt; jetzt bin ich beschäftigt, meine geologischen Ansichten der hiesigen Gegend zusammenzustellen und eine Sammlung von Gebirgsarten, welche hier ausgegeben wird, kürzlich zu commentiren.

Interessante Menschen von sehr verschiedener Art habe ich kennen lernen, unter welchen der Französische Resident Reinhard, der zuletzt in Jassy gestanden und dessen Schicksale Ihnen gewiß im ganzen bekannt sind, [376] wohl den ersten Platz einnimmt. Übrigens lebe ich denn doch sehr einsam: denn in der Welt kommen einem nichts als Jeremiaden entgegen, die, ob sie gleich von großen Übeln veranlaßt werden, doch, wie man sie in der Gesellschaft hört, nur als hohe Phrasen erscheinen. Wenn Jemand sich über das beklagt, was er und seine Umgebung gelitten, was er verloren hat und zu verlieren fürchtet, das hör' ich mit Theilnahme und spreche gern darüber und tröste gern. Wenn aber die Menschen über ein Ganzes jammern, das verloren seyn soll, das denn doch in Deutschland kein Mensch sein Lebtag gesehen, noch viel weniger sich darum bekümmert hat; so muß ich meine Ungeduld verbergen, um nicht unhöflich zu werden, oder als Egoist zu erscheinen. Wie gesagt, wenn jemand seine verlorenen Pfründen, seine gestörte Carriere schmerzlich empfindet, so wäre es unmenschlich, nicht mitzufühlen; wenn er aber glaubt, daß der Welt auch nur im mindesten etwas dadurch verloren geht, so kann ich unmöglich mit einstimmen.

Sagen Sie mir, mein Lieber, wie es mit Ihnen geworden ist. Ich habe tausendmal an Sie gedacht und an das, was Sie als Privatmann geleistet haben, ohne von Seiten der Reichen und Mächtigen unterstützt oder sonderlich aufgemuntert zu werden. Vielleicht ist das, was wir bey der politischen Veränderung am meisten zu bedauern haben, hauptsächlich dieses, daß Deutschland, und besonders das nördliche, [377] in seiner alten Verfassung den Einzelnen zuließ, sich so weit auszubilden als möglich, und Jedem erlaubte, nach seiner Art beliebig das Rechte zu thun, ohne daß jedoch das Ganze eine sonderliche Theinnahme daran bewiesen hätte.

Diesen allgemeinen Reflexionen, welche freylich nicht zulänglich sind, und die ich wohl einmal mit Ihnen mündlich weiter ausführen möchte, füge ich eine besondere Bitte hinzu, um deren baldige Gewährung ich Sie hinzu, um deren baldige Gewährung ich Sie freundlich ersuche.

Ob wir gleich Stimmen und Instrumente in Weimar haben, und ich noch dazu der Vorgesetzte solcher Anstalten bin; so habe ich doch niemals zu einem musikalischen Genuß in einer gewissen Folge gelangen können, weil die garstigen Lebens- und Theaterverhältnisse immer das Höhere aufheben, um dessentwillen sie allein dasind oder daseyn sollten. Nun haben wir von Schleswig wieder ein paar neue Leute, einen sehr guten Tenor und eine Art von Correpetitor bekommen, die ich noch verständige Leute zu seyn scheinen.

Mit der Oper, wie sie bey uns zusammengesetzt ist, mag ich mich nicht abgeben, besonders weil ich diesen musikalischen Dingen nicht auf den Grund sehe. Ich wünsche daher das Seculum sich selbst überlassen und mich ins Heilige zurückziehen. Da möchte ich nun alle Woche einmal bey mir mehrstimmige [378] geistliche Gefänge aufführen lassen, im Sinne Ihrer Anstalt, obgleich nur als den fernsten Abglanz derselben. Helfen Sie mir dazu und senden mir vierstimmige nicht zu schwere Gefänge, schon in Stimmen ausgeschrieben. Ich ersetze die Notendruck, oder gestochen, dergleichen findet. Auch Canons und was Sie zu dem Zwecke nützlich halten. Sie sollen immer in unserer Mitte seyn, geistig, und herzlich willkommen, wenn Sie persönlich erscheinen möchten. Schreiben Sie mir ein Wort hieher, denn ich bleibe noch 4 Wochen hier, und schicken mir ein Paket nach Weimar, damit ich gleich anfangen kann, wenn ich meiner dauernden Freundschaft gewiß.

Carlsbad, den 27. July 1807.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1807. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9E32-4