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An Charlotte von Stein

Rom d. [7.-10.?] Febr. 87.

Deinen lieben Brief von habe ich gestern erhalten, und also auch wieder später als du gewöhnlich die meinigen erhälst. Ich ging eben in die Commödie und laß ihn mitten unter dem fremden Volcke, beym Schein des großen Lüstres, der ehe der Vorhang aufgeht mitten im Schauspielhause hängt. Das Löwgen zu sehen war mir eine große Freude. Da alles bisher so glücklich angelangt ist, hoffe ich das übrige wird auch so zu euren Händen kommen.

Heute hab ich den ganzen Tag gezeichnet. Dieses Verlangen arbeitete schon lang in mir. Die Landschafft sieht man hier so subaltern an, man mag kaum daran dencken, jetzt aber mit dem schönen Wetter kommt die Liebhaberey wieder. Wenn es glückt; so erhälst du durch Kranzen ein Dutzend kleine Stückgen Versuche in einer neuen Manier. Es kostet mich Aufpaßens biß ich meine kleinliche deutsche Art abschaffe. Ich sehe lang was gut und beßer ist; aber das Rechte in der Natur zu finden und nachzuahmen ist schweer, schweer. Nur durch Übung kann man vorwärts kommen und ich habe keine Zeit ein einzeln Fach zu bearbeiten.

Indeßen ist mir das armseelige Bißgen Zeichnen unschätzbar, es erleichtert mir jede Vorstellung von sinnlichen [180] Dingen und das Gemüth wird schneller zum allgemeinen erhoben, wenn man die Gegenstände genauer und schärfer betrachtet. Fritz soll ja brav zeichnen was ihm vorkommt. Ich freue mich recht sehr daß mir im Zeichnen ein Licht aufgeht eh ich nach Neapel reise, ich hatte schon Angst ich würde von dem Anschauen der großen Kunstwercke erdruckt werden, und mir nicht mehr getrauen ein Bleystift anzusetzen. Aber die Natur hat für ihre Kinder gesorgt, der Geringste wird durch das Daseyn des Trefflichsten nicht an seinem Daseyn gehindert, oder wie der Dichter sich ausdrückt

Ein kleiner Mann ist auch ein Mann.

Meine Begriffe von Welt weiten sich nun gar schön aus, ich habe zweymal das Meer gesehn, das Mittländische und Adriatische, nur gleichsam zum Besuch, in Neapel wollen wir bekannter werden.

Es rückt alles auf einmal in mir herauf. Warum nicht früher! Warum nicht wohlfeiler!

Wie viel tausend Sachen, ja wie ganz neu und von vornen alles hab ich dir nicht zu sagen.

Das tolle Leben des Carnevals ruckt heran; die Gerüste sind schon am Ende des Cors gegen die Pyramide zu aufgeschlagen, und die Pferde welche rennen sollen werden, damit sie Ort und Straße gewohnt werden, auf und abgeführt.

Wir leben für uns gar vergnügt und könnten dieser lärmenden Freuden gar wohl entbehren. Tischbeins[181] Gesellschafft ist mir von unendlichem Nutzen, er heitert mich auf und es ist mir so wohl mit einem Menschen zu seyn, der mit schönen Kräften auf dem rechten Weg ist. Moritz schleicht wieder herum, dem bin ich nun wieder nützlich und mein Umgang wird wichtigen Einfluß auf sein künftig Leben haben, er ist gar gut, vernünftig, empfänglich und danckbar wenn man ihm eine Stufe weiter hilft.

Und wie sauer wirds dem Menschen ohne Überliefrung, ohne Lehre zur rechten Zeit sich selbst zu finden und zu helfen. Tischbein bringt mich im Zeichnen seit zwey Tagen fast jede Stunde weiter, denn er sieht wo ich bin, und was mir abgeht; so ists im moralischen auch, so ists in jeder Sache.

Grüße die Waldner und sag ihr sie würde immer etwas aparte behalten.

Das Wetter ist seit den 1. Febr. ganz himmlisch auch der Januar war bis auf einige Tage in der Mitte und am Ende gar herrlich.

Das Portait wird gut und brav werden, wenn es fertig ist, erhälst du eine Zeichnung im Kleinen.

Grüße den lieben Fritz, Ernsten und Stein; behalte mich sehr lieb, ob ich gleich so wunderlich bin, ich habe so viel mit mir selbst auszustehn, daß ich meine Freunde nicht dispensiren kann ihr Theil davon zu tragen und am wenigsten dich.

Ich habe wieder einen neuen Anschlag. Der Herzog schreibt mir daß er mich vor Weynachten nicht erwartet. [182] Da könnte ich nach Ostern nach Sicilien gehn und dann würde es just treffen. Laß uns lieber von dem entfernten nicht sprechen, du sollst Schritt vor Schritt Nachricht haben; so ists sichrer und besser. Aus Rom erhälst du noch einen Brief. Lebe wohl, du Geliebteste.

Grüße Herders aufs beste.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1787. An Charlotte von Stein. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9E6E-D